Als Anna am naechsten Morgen erwachte, war es draussen unveraendert kalt und regnerisch. Sie ging hinunter in die Badestube, wo sie ein ausgiebiges heisses Bad genoss. Sie dachte dabei an Thomas. Es war merkwuerdig. Eigentlich haette sie ihn hassen muessen, sie hatte ihn immer gehasst, aber da war etwas zwischen ihnen. Ein Band. Unsichtbar, und doch staerker als irgendetwas, das sie je gekannt hatte. Sie war neugierig, freute sich, ihn wiederzusehen. Gemaechlich zog sie sich an und ging hinueber ins Haupthaus.
Die Adler-Familie sass bereits am Tisch und fruehstueckte. Als Anna eintrat, stand Agathe sofort auf und kam zu ihr, fragte besorgt: "Wie geht es dir?" Das Maedchen laechelte: "Gut, danke! Bis auf die Tatsache, dass mir ein paar Monate fehlen!" Ihr Blick irrte an Agathe vorbei und suchte Thomas.
Er winkte ihr erfreut zu. Seine Brueder waren erstaunlich still und rissen keine Witze wie sonst. Die Sache musste auch sie bedrueckt haben. "Komm, setz dich und staerke dich!" forderte Otto sie freundlich auf, "Kannst du dich schon an etwas erinnern?" "Jetzt draengel sie doch nicht so - das braucht Zeit!" tadelte Thomas sanft.
Es lag so viel Zaertlichkeit in diesem einfachen Satz, dass Anna ein freudiger Schauer ueberlief. Sie laechelte ihn an, mit dieser Scheu, die er an ihr noch nie gesehen hatte, und setzte sich dann neben ihn.
Auch wenn nicht er es war, den der Gedaechtnisverlust getroffen hatte, fuehlte sich Thomas doch auf eine sonderbare Weise aufgeregt wie am ersten Tag. Immerhin betraf das neue Kennenlernen ihn genauso wie sie. In der Tat war er so aufgeregt, dass ihm glatt sein Honigbrot aus der Hand fiel und einen klebrigen Fleck auf der Tischdecke hinterliess. "Entschuldigung!" murmelte er und fischte das Brot unter dem belusigten Blick seiner Mutter vom Tisch. Unter normalen Umstaenden haette sie etwas geschimpft, aber nicht heute.
Anna kicherte erheitert und wischte ein wenig auf dem Fleck herum. Immer wieder suchten ihre gruenen Augen Thomas' Blick, aber sobald der Kontakt hergestellt war, schoss ihr das Blut in die Wangen, und sie wandte sich ab. Otto grinste Agathe an; es war ganz offensichtlich, was sich da zwischen Thomas und Anna, verheiratet und guter Hoffnung, abspielte: Brautwerbung.
Jedesmal hielt er ihren Blick und wich nicht aus. Es war merkwuerdig, aber auf eine Art und Weise gab ihm der Unfall ein wunderbares Geschenk: Noch einmal die ersten Tagen und Wochen in ihrer Beziehung erleben zu duerfen, selbst wenn er weiter war als Anna. Er nahm sich vor, nichts zu ueberstuerzen und vertraute darauf - ja wusste mit Sicherheit - dass nichts, nichtmal dieser unglueckselige Zwischenfall sie auseinanderbringen konnte.
In gewisser Weise war es dieses Mal noch viel schoener, denn sie mussten sich nicht verstecken, konnten jene zarten Bande knuepfen, die es zwischen ihnen noch nie gegeben hatte. Anna selbst erfuhr mit aller Macht ein zweites Mal den Zauber der ersten Liebe. Sie wunderte sich, wie intensiv, wie ploetzlich diese Gefuehle kamen - Schmetterlinge im Bauch, Herzklopfen...und das alles nur durch einen Blick von einem Mann, den sie von Kind an verabscheut hatte.
Thomas nagte nur nebenbei an seinem Brot, und als Agathe mit dem Abraeumen begann, hatte er es noch nicht aufgegessen. Zu sehr war er mit Anna beschaeftigt, diesmal ohne die Angst vor einer Entdeckung. Es war ungemein befreiend und erhebend. Mit lachendem Gesicht sagte er: "Also wenn du dich an eins in Ansbach erinnern musst, dann ist es unser Pfarrer! Er ist nicht nur eine fuerchterlich kuriose Gestalt, sondern du hast dich auch schon mit ihm angelegt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen!"
Sie verzog leicht das Gesicht: "Ist es noch derselbe wie damals, als wir Kinder waren?"
"Ja - leider!" nickte er. Ihr Gesichtsausdruck nahm angeekelte Formen an: "O Gott, der Hoellenprediger! Muessen wir denn wirklich in die Kirche gehen?" "Wenn ihr nicht wollt, koennt ihr heute ausnahmsweise auch zu Hause bleiben! Vielleicht ist es ganz gut, wenn ihr ein bisschen Zeit alleine verbringt!" stellte Otto fest.
Was fuer eine Vorstellung! Soweit Anna sich erinnerte, waere niemals jemand auf die Idee gekommen, sie mit einem Mann ganz allein in einem Haus zu lassen. Die pure Unschicklichkeit dieses Gedanken sorgte dafuer, dass sie leicht erzitterte. "Um dem Pater zu entkommen wuerde ich einiges auf mich nehmen...sogar mit Thomas alleine bleiben!" neckte sie schelmisch.
Jetzt stiess er sie laechelnd an der Seite an: "Na hoermal, ich war immer anstaendig...naja...meistens!" "Dann ist das ja wohl heute deine Bewaehrungsprobe!" Ottos Augen funkelten amuesiert. Er stand auf: "Und wir machen, dass wir loskommen. Wenn wir zu spaet sind, erzaehlt uns der Pater wieder stundenlang was fuer schlimme Suender wir sind!" Das uebliche Murren der anderen Soehne und eine kleine Portion Neid, weil sich die beiden vor der Kirche druecken konnten, begleiteten den Abgang der Familie.
Die Tuere fiel ins Schloss, und es war erstmal mucksmaeuschenstill. Keiner sagte etwas. Thomas blieb seelenruhig am Tisch sitzen und machte keine Anstalten, aufzustehen. Schliesslich erhob sich Anna und fing an, den Tisch abzuraeumen. Er half ihr und trug Honig und Marmelade in die Kueche. "Mein Gott, diese Stille ist ja nicht auszuhalten -sag mal was!" kicherte er.
Sie spuerte sich erneut erroeten und aergerte sich darueber: "Was soll ich denn sagen?"
"An was denkst du gerade?" wollte er wissen. Sie hob die Schultern: "Was ich wohl alles vergessen habe...und wie es sein wird, es neu zu entdecken!" Thomas wirkte nachdenklich: "Vielleicht ist es besser, wenn du manche Dinge gar nicht mehr weisst. Es war nicht immer einfach..." "Ich moechte aber alles wissen! Ich muss alles wissen!" antwortete sie sofort. Er stiess einen tiefen Seufzer aus. "Da sind ein paar schlimme Dinge dabei..." sagte er leise. "Aber du hast ein Recht darauf, es ist ja dein Leben!" "Ausserdem bin ich ein grosses Maedchen!" Sie zwinkerte ihm zu. "Ich werde es bestimmt ueberstehen!" "Setzen wir uns in ein Nebenzimmer? Ich mache ein Feuer an, so langsam wird es kalt hier! Ausserdem kann man da besser erzaehlen!" fragte er laechelnd. "Ja, gern!" Sie erwiderte sein Laecheln, "Ich mache ein wenig Milch heiss, moechtest du auch welche?" "Ja bitte!" Er schlenderte aus der Kueche, und kaum fuenf Minuten spaeter war das Knacken des Feuers im Kamin zu hoeren. Langsam aber sicher breitete sich wohlige Waerme im Raum aus.
Anna kam aus der Kueche, trug einen Krug mit dampfender Milch. Die Zungenspitze hatte sie zwischen die Lippen gesteckt, als koenne sie damit besser balancieren. Vorsichtig stellte sie den Krug auf den Tisch, holte zwei Becher aus dem Schrank und goss ein.
Unverhohlen sah er sie an: "Das hast du frueher nie gemacht, das mit der Zunge!"
Blitzschnell war die Zungenspitze verschwunden, und sie fuhr sich verlegen durchs Haar: "Doch, manchmal...wenn ich mich konzentriere mache ich das." "Siehst du, jetzt bemerke ich so manches, was mir zuvor vielleicht nicht gleich aufgefallen ist - schon komisch, oder?" Er griff nach der Milch, nippte und machte es sich am Kamin bequem.
Ein wenig ungelenk und unsicher liess sich das Maedchen neben ihm nieder, und es war Thomas unbegreiflich, wie sie dabei immer noch so elfenhaft anmutig aussehen konnte.
Er sah schnell weg, als er merkte, dass er sie anstarrte und lenkte davon ab, indem er fragte: "Soll ich weitererzaehlen?" "Ja, bitte!" Sie blickte laechelnd in ihren Becher: "Ich mag Liebesgeschichten!"
Thomas lachte unkontrolliert, denn die Situation war einfach zu komisch. Er kaempfte die letzten Reste von Scham nieder und setzte die ihre Geschichte fort. Nichts liess er aus, selbst wenn sie beide dabei wie rote Aepfel anliefen. Als er bei Lotte angelangt war, sagte er kichernd: "Wenn du sie das naechste Mal siehst, musst du dich nicht wundern, wenn sie dich lustig anschaut - sie hat uns beim Kitzeln erwischt! Du bist beinahe im Boden versunken!"
Anna war hin und her gerissen zwischen Lachanfaellen und toedlicher Verlegenheit. Zum hundertsten Mal bedeckte sie ihr Gesicht mit den Haenden: "O Himmel, ich kann nicht glauben, dass uns sowas wirklich gefaellt!" "Das siehst so suess aus, wenn du das machst!" Er erzaehlte und erzaehlte und kam schliesslich zu dem Punkt, an dem sie Jochen das Jawort gegeben hatte: "Das war ein ziemlich schlimmer Tag fuer uns beide. Du wollstest ihn eigentlich gar nicht heiraten, aber bei uns war es so aussichtslos, dass du sein Angebot angenommen hast! Ich weiss nicht, wie er das Ganze jetzt auffasst, aber ich wuerde an deiner Stelle vorsichtig sein! Er mag dich wohl immer noch..."
Das liess Anna aufhorchen. Sie musterte Thomas kurz von oben bis unten und grinste breit: "Hast Du Angst vor Konkurrenz?" Erst schuettelte er den Kopf: "Nein, wir sind doch verheiratet!", aber dann gab er kleinlaut zu: "Vielleicht bin ich ein bisschen eifersuechtig, das kann schon sein!" Wie suess er war! Anna musste sich gegen eine Welle zaertlicher Gefuehle wehren, die in ihr hochstieg und auftrug, ihn einfach in die Arme zu nehmen.
Es dauerte noch ueber eine halbe Stunde, bis sie an dem Zeitpunkt ihrer Entdeckung angelangt waren. Thomas hatte ihr bisher alles erzaehlt, von Jochen, Friedhelm, ihrer Trennung und der Versoehnung, wie sie immer hatten zittern muessen aus Ungewissheit vor der Zukunft. Als es nun ans Eingemachte ging, zoegerte er erneut und holte tief Luft, bevor er weitersprach: "Bis hier hast du deine Liebesgeschichte, aber dann kam der Tag, der alles veraenderte und gleich wirst du auch verstehen, warum du nicht mehr in Rothenburg bist!"
Anna hatte zwar alles vergessen, aber dumm war sie nicht. Genau so wie sie damals gewusst hatte, dass die Hoelle losbrechen wuerde, wenn man sie erwischte, war ihr das auch jetzt klar. Sie senkte den Kopf: "Man hat uns erwischt!"
Er nickte: "Deine Mutter war es. Wir waren im Stall bei den Kaninchen und konnten uns wieder einmal nicht beherrschen. Als ihr die Toepfe heruntergefallen sind und sie schrill deinen Namen gerufen hat, habe ich gedacht, mein Herz bleibt gleich stehen. Ich hatte schreckliche Angst, dich zu verlieren. Du warst blass wie ein Leintuch, als sie mir eine gescheuert hat."
Spontan streckte sie die Hand aus und beruehrte ihn - aehnlich wie am Abend zuvor - an der Wange: "Hat es sehr wehgetan?" Thomas versuchte zu laecheln, aber es gelang ihm nicht. Klaeglich meinte er: "Ich habe es gar nicht gespuert, ich war betauebt vor Angst! Hiltrud hat dich an den Haaren in die Kueche gezerrt und wild gezetert. In deinem Zimmer wurdest du eingesperrt, und dein Vater hat sich ueber mich hergemacht. Uebelst geschimpft hat er, er war ausser sich vor Zorn! Ich dachte schon, hoffte schon, er wuerde es bei einer gehoerigen Standpauke belassen und dich nicht anruehren..." Seine Stimme wurde zum Ende des Satzes leise, kaum zu hoeren.
Anna schluckte schwer: "Aber das hat er!" Ein Nicken war die Antwort. "Ich wollte ihn davon abhalten, ihn daran hindern, aber das haette alles noch viel schlimmer gemacht! Er hat dich schlimm...mit dem Guertel...deine Schreie - oh ich kann das nicht!" klagte er und verbarg diesmal sein eigenes Gesicht. "Schon gut!" Ihre Stimme zitterte ein wenig, aber ansonsten war sie gefasst und stark, als sie ihm zart ueber den Ruecken strich. "Jetzt ist es ja vorbei! Wir haben es ueberstanden!"
Ihre Beruehrung beruhigte ihn sofort ein wenig. "Ein einfacher Tag wars nicht...das steht fest! Auf jeden Fall bin ich noch am selben Abend aus Rothenburg aufgebrochen, nachdem Anselm mir verboten hat, die jemals wiederzusehen und dich ins Kloster stecken wollte!" Anna schauderte: "Ins Kloster...was fuer ein grauenhafter Gedanke! Da waere ich lieber tot!" "Oh glaub mir, das habe ich mir an dem Tag gewuenscht! Zumal es fuerchterlich gestuermt hat! Natuerlich hat sich alles geaendert, als wir uns gegenseitig in einer Scheune nicht weit von der Stadt praktisch ueber den Haufen gerannt haben!"
Ihre Augen leuchteten auf: "Die Geschichte ist fast wie ein Maerchen...es muss Schicksal gewesen sein!" Den ganzen Vormittag erzaehlte er, und Anna hoerte fasziniert zu. Thomas berichtete besonders ausfuehrlich von ihrer Hochzeit und dem Aufenthalt im Kloster, verschwieg aber andererseits auch nicht solche Dinge wie die Beinahe-Vergewaltigung und seinen Fehler mit Mariella.
Besonders bei der Erzaehlung von Mariella machte Anna ein besonders merkwuerdiges Gesicht; sie fuehlte sich auch merkwuerdig. Obwohl sie keinerlei Erinnerung an ihre Beziehung hatte, gefiel es ihr nicht, dass er diese andere Frau gewollt hatte! "Tja, viel mehr gibt es nicht zu sagen! Wir sind wieder hergekommen, nachdem ich dir in der Flut das Leben gerettet habe, und sonst ist seit da eigentlich nichts besonders Aussergewoehnliches passiert - bis auf gestern eben!" schloss er die Geschichte ab.
"Das reicht ja auch fuer drei Leben!" laechelte sie. Thomas grinste: "Ich kann mich nicht beklagen, zu wenig mit dir erlebt zu haben - und das in nur einem halben Jahr!" Sie streckte sich behaglich auf dem Fell, das vor dem Kamin lag, aus: "Es scheint jedenfalls, als waere unsere Liebe etwas ganz besonderes!"
Ihre Aussage freute und schmerzte ihn zugleich. Er bemuehte sich, neutral zu wirken, als er sagte: "Ja, scheint so..." Schweigend blickte Anna in die Flammen. Sie spuerte ihre Verlegenheit wachsen. Die Augen geschlossen, seufzte er und meinte: "Schon merkwuerdig, oder? Denkst du, das bedeutet etwas, der Unfall?" Sie wandte ihm den Blick zu: "Was meinst du? Was sollte er bedeuten?" "Ich weiss doch auch nicht, sonst wuerde ich nicht fragen!" antwortete er hilflos. "Es ist nur so - wir hatten alles, wirklich alles! Sogar eine Lehrstelle habe ich bekommen und dann" er schnippte mit den Fingern, "ist alles fort...es ist zum Heulen!"
Anna runzelte die Stirn: "Willst du damit sagen, dass es einfach nicht sein soll, dass wir zusammen sind?" "Um Gottes Willen, nein!" beeilte er sich zu erwidern. "Ich bin nur etwas niedergeschlagen, das ist alles!" Seine Frau drehte sich auf den Ruecken und blickte zur Decke: "Findest du es nicht irgendwie auch ein bisschen romantisch?" "Ich muss zugeben, es hat auch Vorteile!" musste er gestehen. "Bei uns ging alles so schnell - ich hatte das Gefuehl, wir wurden ueberrollt, hatten gar keine Kontrolle ueber das, was geschah! Jetzt koennen wir es langsam angehen lassen ohne...du weisst schon!" "Nein, was denn?" Mit verschmitztem Blick stemmte sie sich auf die Ellbogen und sah ihn an.
Er kicherte: "Das hat sich an dir nicht geaendert! Du liebst es, andere Leute zu reizen!" Thomas sprach es aus: "Na ohne den Drang, alle fuenf Minuten uebereinander herzufallen wie die Karnickel!" Ihr Gesicht gluehte augenblicklich: "Das kam vielleicht davon, weil wir uns verstecken mussten!" "Ja, das kann gut sein!" lachte er. "Aber vielleicht auch nicht!" Schon kam wieder dieses schelmische Blitzen in ihre Augen zurueck. "Ich werde es dir dann mitteilen, nachdem wir ein zweites erstes Mal erlebt haben!"
Thomas spuckte fast die Milch, die er im Mund hatte, in hohem Bogen ueber den Tisch: "Was? Du planst aber schon weit, wenn man bedenkt, dass du mich gestern noch gehasst hast!" Sie hob die Schultern: "Ich habe ja keine Wahl! Ich trage dein Kind!" "Ich werde dich jedenfalls zu nichts draengen, zu dem du noch nicht bereit bist!" versprach er. Sie nickte nur und senkte in einem erneuten Anflug von Verlegenheit den Blick.
"So, genug davon! Was willst du heute machen, da wir dem Pfarrer entkommen sind?" laechelte er. "Vielleicht einen Spaziergang machen!" schlug sie mangels besserer Ideen vor. "Gern!" Thomas stand auf. "Wir koennen auf dem Weg bei einem Freund von mir vorbeischauen und vielleicht ist Berta nachher ja zurueck - sie wird bestimmt auch in der Kirche sein!" "Das waere toll!" Annas Augen leuchteten auf. Sie wollte ihre Schwester gern sehen. Ihr Mann stieg die Treppen hoch und rief: "Es ist aber kalt draussen, ich schau mal, ob ich einen Umhang von meiner Mutter finde!" Laechelnd sah Anna ihm nach; es gefiel ihr, wie ruehrend besorgt er um sie war.
Die Idee war gar nicht schlecht gewesen. Kaum waren sie auf die Strasse hinausgetreten, wehte ihnen ein kalter Wind entgegen und liess die Blaetter wilde Taenze in der Luft vollfuehren. Anna mummelte sich tief in den wollenen Mantel, bis nur noch ihre Augen herausschauten. Thomas bekam einen kleinen Lachanfall: "Du siehst aus, wie die Frauen im Orient! Ich habe gehoert, sie muessen sich tagtaeglich auch bei gluehender Hitze bis auf die Augen verdecken - ein durchreisender Haendler hat davon erzaehlt, aber ich weiss nicht, ob es auch stimmt!"
"Na von gluehender Hitze kann man hier ja nicht gerade sprechen!" kam ihre gedaempfte Stimme aus der Wolle. "Pass nur auf, dass du noch genug siehst und niemanden umrempelst!" warnte er amuesiert. Sie zog den Umhang herunter, lange genug, um ihm die Zunge herauszustrecken. Dann kuschelte sie sich wieder hinein.
Es waren diese kleinen Dinge, die er an ihr liebte. Sie konnte so herrlich frech werden und im naechsten Augenblick wieder eine wahre Schmusekatze sein. Er schwelgte in Erinnerungen, waehrend sie die Strassen entlangliefen und kaum einer Menschenseele begegneten. Die ganze Zeit blieben sie streng nebeneinander, ohne sich zu beruehren. Nur gelegentlich strichen sie zufaellig aneinander, und selbst diese unschuldige Beruehrung loeste bei Anna eine Gaensehaut aus.
Einfach war es fuer ihn nicht, von einem Zustand der ungebaendigten Leidenschaft zu einer Keuschheit ueberzugehen, von der sie sich ironischerweise zusammen vorgenommen hatten, sie nie mehr erleben zu muessen. Er wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass alles wieder so wuerde wie frueher, so wie es sein sollte. Aber das wagte er dann doch nicht. "Schau mal, da vorne ist Peters Haus, daran erinnerst du dich wohl nicht, oder?"
Traurig schuettelte sie den Kopf: "Nein!" "Macht nichts!" Thomas war optimistisch: "Du wirst es sicher geniessen, ihn zum zweiten Mal kennenzulernen!" Als sie vor der Tuer standen und er schon die Hand zum Anklopfen gehoben hatte, hielt er inne: "Ach ja, das weisst du ja gar nicht mehr: Er hatte einen Unfall und sieht...anders aus! Das solltest du vielleicht wissen!" Als Peter oeffnete, wusste Anna sofort, was Thomas meinte. Aber wie beim ersten Mal zeigte sie keinerlei Erschrecken. Peter lachte sie an: "Ach...der Engel! Was fuehrt euch zu mir?" "Du magst doch Geschichten Peter, oder? Dann haben wir eine, sagen wir mal aussergewoehnliche fuer dich!" begruesste Thomas seinen Freund. Peter blickte von Thomas zu Anna: "Was habt ihr schon wieder angestellt?"
"Das erzaehlen wir besser drinnen, hier ist es so kalt!" fachte Thomas Peters Neugier an. Eilig trat er zur Seite und liess sie in die warme Stube. Peter bemerkte Annas Blick, der jedes Detail des Raumes aufsog, und er fragte: "Was ist, suchst du was?" Sie schuettelte den Kopf: "Nein...es ist nur...ich kann mich nicht erinnern schon einmal hier gewesen zu sein!"
Der junge Mann machte ein grosses Gesicht und war gaenzlich ueberrascht: "Was? Du machst Witze, oder? Du warst schon immer lustig!" Ihr Laecheln war etwas klaeglich: "Leider kein Witz...ich habe bei dem Sturm einen Ast an den Kopf bekommen...sagt Thomas!" "Alles andere glaubst du mir, nur das nicht?" wunderte er sich, noch bevor Peter etwas sagen konnte. Anna schuettelte den Kopf: "Ich wollte nur betonen, dass ich mich auch daran nicht erinnere!"
Thomas' Freund musste sich erstmal setzen. "Ihr nehmt mich nicht auf den Arm?" erkundigte er sich nochmals unglaeubig. Beide schuettelten die Koepfe. "Also das hab ich ja noch nie erlebt!" Peter war vollkommen baff. "Du erinnerst dich an absolut gar nichts mehr?" "Doch, schon!" antwortete Anna, aber ich kann mich nicht erinnern, mich in Thomas verliebt zu haben. Peter sah diesen mitfuehlend an: "Ach du dickes Ei! Und was macht ihr jetzt?" "Noch einmal anfangen!" antwortete Anna mit ruhiger, bestimmter Stimme.
"Gibt es irgendwas, wie ich helfen kann?" wollte der Metzgersohn wissen. "Nur wenn du einen Trick weisst, mit dem ich mich wieder erinnere!" Anna laechelte. Peter ueberlegte eine Weile und sagte dann zu den beiden: "Thomas muss dir alles genau erzaehlen und noch viel wichtiger: Er muss dir alle Orte zeigen, an denen ihr gewesen seid!" "Das wird sicher interessant!" Sie warf Thomas einen kurzen Blick zu.
Der stoehnte: "Und verflixt schwer!" und erklaerte genauer: "Nach Rothenburg koennen wir in naechster Zeit sowieso nicht gehen! Am Ende haengen deine Eltern mir auch noch diese Sache an! Und ich weiss ja selbst nicht so recht, wo wir in den Monaten genau herumgeirrt sind - davon abgesehen werden wir zu dem Bauernhof sowieso nie mehr zurueckkehren, das garantiere ich dir!"
Peter zuckte die Achseln: "Nun, vielleicht ist es ja gar nicht noetig, dass sie sich erinnert!" Thomas seufzte: "Warum nicht? Es gibt so viele schoene Dinge, die wir erlebt haben, das will ich ihr unbedingt zurueckgeben!" Annas Herz tat wieder einen kleinen Hopser, als er das sagte. Peter laechelte: "Erzaehl ihr davon...und gib ihr neue schoene Erinnerungen!" Ihr Mann gab sich tapfer: "Ich werds versuchen!" Lachend schlug Peter ihm auf den Ruecken: "Ihr habt weit schlimmeres durchgestanden! Und jetzt raus mit euch...ihr wollt doch sicher Zeit fuer euch beide!"
"So ist der immer - hat nie Zeit fuer uns!" grinste Thomas und nutzte es aus, dass Anna Peter nicht mehr im Gedaechntnis hatte. Peter prustete etwas unverstaendliches und schob die beiden zur Tuer hinaus.
Diesmal hielt Thomas ihr den Arm hin und kicherte: "Werte Dame, darf ichs wagen?" Sie kicherte ebenfalls: "Aber natuerlich, edler Herr!" und hakte sich bei ihm unter. "Schade, dass es nicht Fruehling ist, sonst koennten wir wieder irgendwo auf der Wiese gemuetlich was essen!" seufzte er. "Aber lass uns deine Schwester besuchen, die Kirche duerfte so langsam um sein!"
Aus irgendeinem Grund hatte Anna im Augenblick ueberhaupt keine Ambitionen, in der Stadt zu bleiben. Sie wollte den Stadtmauern entkommen. "Koennen wir nicht lieber vor den Toren spazierengehen?" fragte sie, "Da gibt es doch diesen Bach...als Kinder haben wir dort gespielt!" "Richtig!" strahlte er. Dann blickte er schuldbewusst zu Boden: "Ich habe mich zwar schonmal dafuer entschuldigt, aber die Sache mit dem Frosch war schon uebel! Hast du geschrien, als ich dir das arme Tier auf den Bauch gesetzt habe, waehrend du geschlafen hast! Bitte entschuldige!"
Sie grinste: "Keine Sorge...ich habe mich dafuer geraecht!" "Was meinst du genau?" bohrte er nach. "Erinnerst du dich an die Kaulquappen in deinen Schuhen?" "Du warst das?" rief er mit gespieltem Entsetzen. "Das hast du mir vorher aber tunlichst verschwiegen!" "Ach wirklich?" Sie lachte. "Na jetzt weisst du es!"
Thomas beneidete die Wachen am Stadttor nicht, die den ganzen Tag in dem kuehlen Wind Wache schieben mussten. Die Baeume fingen ihn mit ihren Aesten und Blaettern auf und wiegten sich sanft, manchmal aber auch recht deutlich, wenn die Staerke abrupt zunahm. Er nahm einen tiefen Atemzug nach dem anderen und genoss es, sich nicht in den engen Strassen herumdruecken zu muessen. Anna sog die Luft, die nach Regen und Erde roch, tief in sich ein. Leichte Nebelschwaden zogen ueber die Wiesen um Ansbach, und der Bach plaetscherte neben ihnen dahin.
Thomas ertappte sich dabei, sie manchmal anzustarren und sah dann immer schnell in die andere Richtung. Der dicke Umhang verhinderte sowieso, dass er mehr als das Noetigste von ihr zu Gesicht bekam. "Schoen hier, oder?" lenkte er ab. "Ja, es ist wunderbar!" seufzte sie, "So friedlich!" Auf einmal fiel ihr Blick hinunter ins Bachbett. Dort lag ein kleiner Jutesack...und er bewegte sich. Argwoehnisch kniff Anna die Augen zusammen: "Was ist denn das?" Ohne Thomas' Antwort abzuwarten, sprang sie den kleinen Abhang in den Bach hinunter und watete auf den Sack zu.
"Nicht doch, das Wasser ist doch kalt!" rief er ihr hinterher. Aber auch seine Neugier war geweckt. Eine dunkle Vorahnung erfasste ihn. Annas Rocksaum und der Wollmantel sogen sich langsam von unten her mit Wasser voll, aber sie spuerte es kaum. Naeher und naeher kam sie dem Sack, und wirklich, er bewegte sich. Ahnungsvoll ging sie in die Hocke, nestelte die durch das Wasser ausgedehnte Schnuerung auf und oeffnete den Sack.
Zum Vorschein kam ein pechschwarzer, zotteliger Hundewelpe, der am ganzen Koerper zitterte vor Kaelte und Furcht, jaemmerlich winselte und bei dem man vor lauter Fell den Kopf nicht sehen konnte. "Oh, du armer kleiner Kerl!" entfuhr es Anna voller Mitgefuehl.
"Was hast du denn schon wieder..." fragte Thomas beim Naeherkommen und verstummte in seiner Frage, als er sah, was sie gefunden hatte. "Du meine Guete, den wollte wohl jemand nicht mehr!" entfuhr es ihm, und man konnte die Verachtung deutlich aus seiner Stimme heraushoeren. "Was fuer Menschen tun sowas!?" entfuhr es Anna bitter, als sie sich erhob und das Tierchen aus dem Sack schaelte. Ungeachtet dessen, dass der Welpe voellig durchnaesst war, presste sie ihn unter ihrem Wollmantel an ihre warme Brust.
"Du willst ihn doch nicht etwa mitnehmen, oder?" Thomas blickte sie skeptisch an. Ueberrascht blickte sie zu ihm hoch: "Natuerlich, was denn sonst? Willst du ihn gleich hier ersaeufen?" Er wirkte aergerlich: "Wie kannst du sowas nur sagen? Aber wir koennen doch nicht jedes Tier einfach aufnehmen, nur weil es uns leid tut!"
"Siehst du ausser ihm hier noch irgendwelche Tiere?" konterte sie, "Er ist nass, und ihm ist kalt, und er ist ganz allein! Ich lass ihn doch nicht einfach hier, er ist viel zu klein, er wuerde sterben!" Thomas brummte: "Du weisst genau, dass ich das nicht woertlich gemeint habe!" Leise fuegte er noch etwas hinzu, das wie "Frauen!" klang.
Sie hatte es auch gehoert und kniff ihn dafuer in die Seite. Der Welpe, dem es anscheinend in der wohligen Waerme unter dem Mantel besser ging, steckte sein Koepfchen hervor und blickte Thomas mit seinen grossen, traurigen Augen an. Abwehrend hob Thomas die Haende und meinte zu dem kleinen Hund: "Schau mich bloss nicht so an! Mir reicht es schon, wenn ich einem Blick nicht widerstehen kann!"
Anna deutete das ganz richtig, hob den Welpen an ihre Wange und imitierte sehr wirkungsvoll seinen Blick. "Das ist ja nicht zum Aushalten!" stoehnte ihr Mann. "Na gut - aber damit wir mal zwei Dinge klarstellen: Das ist der einzige Hund, den wir mitnehmen und du darfst mindestens einen Monat diesen Blick nicht mehr benutzen!" Sie lachte auf: "Versprochen!" Dann gab sie ihm spontan einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und lief zurueck hinauf auf den Weg.
Er fasste sich an die Stelle, wo sie ihn gekuesst hatte, laechelte und folgte ihr dann. Sie drehte sich nach ihm um und rief voller Ungeduld: "Komm schon, beeil dich...der Kleine hat sicher Hunger!" "Ich komm ja schon, ich komme ja!" Thomas schloss zu ihr auf: "Bin mal gespannt, was meine Eltern zu unserem neuesten Familienmitglied sagen!" Anegstlich drueckte Anna den Welpen an sich: "Glaubst du, sie wuerden mir verbieten, ihn zu behalten?"
"Ich kann ja ein gutes Wort einlegen - aber nur, wenn es unser Huendchen ist!" entgegnete er. Sie laechelte ihn an: "Natuerlich ist es unser Huendchen...wie moechtest du ihn nennen?" Er ueberlegte eine Minute und schlug dann vor: "Wie waere es mit...Nero?" Anna ueberlegte kurz: "Ja, das ist schoen! Also, Nero...so heisst du jetzt!" Sie blickte auf den Welpen hinunter, und er schaute zu ihr hoch und leckte ihr kurz ueber die Nase. "Ich glaube, er mag dich!" kicherte Annas Mann. "Aber Nero schlaeft nicht bei uns im Bett!" bestimmte er und biss sich auf die Zunge, weil er geredet hatte, ohne zu denken. "Aeh, du weisst, was ich meine...ich wollte nicht vorschnell..." stammelte er verlegen.
Sie war ein bisschen rot geworden: "Nein, ist schon in Ordnung...irgendwann...lasse ich dich bestimmt wieder zu mir kommen..." "Ich bin ganz froh, dass du so begeistert bist, ich habe naemlich nicht wirklich viel Ahnung von Hunden - auch wenn wir ein bisschen Zeit mit Harras verbracht haben! Hier in Ansbach hatten wir selber nie einen!" gestand er. "Dann wird es aber Zeit!" fand Anna, "Jede Schenke braucht doch einen Hofhund!" Thomas grinste: "Ich habe da meine Zweifel, dass dieses kleine wuschelige Ding einen guten Wachhund abgibt! Der kann wohl nur schmusen so wie es aussieht!"
Anna streckte ihm die Zunge heraus und herzte das Tierchen: "Momentan muss er auch gar nichts anderes koennen ausser schmusen! Aber warte mal, wenn er erst gross ist!" "Dann koennen wir zusammen herumtollen und raufen!" freute er sich. Die Idee, den Hund zu behalten, gefiel ihm von Minute zu Minute besser. Anna freute sich, Begeisterung in seinen Augen zu sehen, und gemeinsam malten sie sich aus, was sie Nero alles beibringen konnten, als sie sich auf den Weg zur Schenke machten. Thomas bereitete sich schon innerlich darauf vor, ihre neue Errungenschaft mit Zaehnen und Klauen verteidigen zu muessen. Inzwischen duerften alle zurueck sein und wuerden sich wundern, was das Paar am Vormittag aufgegabelt hatte.
Aber Anna hatte anderes im Sinn als das Huendchen direkt zu praesentieren; sie zupfte Thomas am Aermel: "Lass ihn uns zuerst etwas zurechtmachen! Besorgst du ein bisschen Milch oder sowas fuer ihn? Wir treffen uns in der Badestube! Sieh zu, dass du niemandem begegnest!" "Einverstanden!" rief er freudig und schlich durch den Hintereingang ins Haus. Prompt musste er sich hinter einer Saeule verstecken, denn sonst haette ihn Agathe gesehen, die gutgelaunt mit einem kleinen Mehlsack in Richtung Kueche spazierte. Offensichtlich war die Predigt ausnahmsweise doch nicht so schlimm gewesen.
Anna machte in der Zwischenzeit etwas Wasser warm und goss es in einen kleinen Zuber. Dann fing sie Nero, der inzwischen neugierig durch die Badestube schnupperte, ein, packte ihn in den Zuber und seifte ihn ordentlich ein. Es schien ihm zu gefallen, denn er platschte munter im Wasser herum und spritzte Anna von oben bis unten nass.
Etwa fuenf Minuten spaeter quietschte die Tuere leise und Thomas trat ein: "Mensch, das war aber knapp! Beinahe waere ich erwischt worden!" Er sah sich um: "Wie sieht es denn hier aus! Waschen sollst du ihn, nicht alles unter Wasser setzen!"
"Versuch du doch mal, einen kleinen Hund ruhig zu halten!" brummte sie. In dem Moment entschied Nero, sauber genug zu sein. Er sprang aus dem Zuber, tapste freudig auf Thomas zu und sprang mit seinen im Verhaeltnis zum Koerper riesigen patschigen Pfoetchen an ihm hoch. "Nicht doch!" jammerte der, verriet sich aber durch sein Lachen. "Da kann ich ja gleich mit in den Zuber steigen!"
Das nahm Nero anscheinend als Aufforderung; er schuettelte sich, dass die Tropfen in alle Richtungen flogen. Anna platzte fast vor Lachen. Egal wohin er auch auswich, der Welpe folgte ihm auf dem Fusse und hatte groesstes Vergnuegen, den jungen Mann nass zu machen. "Jetzt langts!" juchzte der, entledigte sich seines Hemdes und begann, mit dem Hund herumzutollen. Es war ein unglaublich hinreissender Anblick. Anna beobachtete die beiden mit Entzuecken, und sie spuerte ihr Herz heftig schlagen. Es endete damit, dass Thomas auf dem Ruecken lag, Nero auf seiner Brust und ihn abwechselnd anhechelte oder abschleckte. Sanft schob er das Tier von sich herunter und grinste Anna an: "Danke, dass du nicht nachgegeben hast! Ich mag ihn wirklich!" Sie laechelte zurueck: "Er mag dich auch!" Wieder roeteten sich ihre Wangen, als sie leiser hinzufuegte: "So wie ich!"
Thomas spuerte, wie er aufgeregt wurde und sich frisch verliebt fuehlte. Er strahlte Anna an und meinte: "Nachdem Nero jetzt sauber ist, sollten wir uns vielleicht etwas in Ordnung bringen! Gib du ihm schonmal Milch, ich hole mir neue trockene Kleider!"
Begeistert goss Anna Milch in eine Schale und rief den Hund herbei; er hoerte schon auf ihre Stimme, schnupperte erst skeptisch an der Milch, aber als sie ihre Finger hineintauchte und ihm vor die Nase hielt, leckte er sie schliesslich ab und schlabberte dann mit wachsender Begeisterung die Milch.
Ihr Mann konnte sich diesmal ohne Hund und Milch ungehindert bewegen und kam schnell wieder frisch angezogen zurueck. Inzwischen hatte sich auch Anna schnell umgezogen und zu dritt standen sie in der Badestube. "Na dann lass es uns hinter uns bringen!" Nero war inzwischen trocken und blickte aufmerksam und mit heraushaengender Zunge zu seinen neuen Kameraden auf. Anna bueckte sich und hob ihn hoch. "Er ist so putzig!" fand sie, "Sie koennen ihn gar nicht wegschicken!" "Das denke ich auch, aber ich will nicht, dass du nachher enttaeuscht bist, wenn sie es doch tun!" sagte er sanft und legte ihr lachend eine Hand auf die Schulter: "Schau mal, wir sind schon eine richtige Familie - vielleicht nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt habe, aber es ist ein Anfang!" Ihre Augen funkelten amuesiert: "Du hast recht...du, ich und unser Hundekind!"
Zusammen kehrten sie zum Haupthaus zurueck. Es war nicht einfach, Nero versteckt zu halten, denn er sprang munter um ihre Beine herum und wollte spielen. Kaum dass Thomas die Tuere geoffnet hatte, nahm ihr neuer Begleiter den beiden die Initiative ab und war ins Haus geflitzt. Anna und Thomas tauschten erheiterte Blicke aus: "Mal sehen, wer ihn zuerst findet!"
Agathes schriller Schrei und ein lautes PUFF beantworteten die Frage. Im selben Moment kam Nero laut jaulend zurueckgelaufen, aber er war nicht mehr schwarz, sondern schneeweiss; offensichtlich hatte Agathe ihren Mehlsack ueber ihn gekippt. Fiepend floh das Tier zu Anna, die sich bueckte und ihn hochhob.
Thomas traute sich weiter in die Stube und lief auf seine Mutter zu: "Sieht so aus, als hast du unseren neuen Freund schon gefunden - oder besser gesagt er dich!" Agathe hatte beide Haende vor die Brust gepresst: "Um Himmels Willen, wollt ihr mich zu Tode erschrecken!? Wo habt ihr den Hund her?" "Jemand wollte ihn im Bach ertraenken!" erzaehlte Anna und staubte ihn liebevoll ab: "Ist er nicht suess?"
Neugierig, aber vorsichtig musterte das Tier die neue Person und schnueffelte. "Es gibt leider viele Leute, die so etwas tun!" gestand Agathe mit Bedauern ein. Als sie sah, wie gut Anna sich mit dem Hund verstand, kam ein Laechelnd auf ihr Gesicht: "Du willst ihn wohl behalten, was?" Bittend blickte Anna Thomas' Mutter an: "O ja, das will ich! Es ist nachts so einsam drueben im Gaestehaus!"
Die Frau sah erst Anna an, dann ihren Sohn und wieder Anna. Sie verstand, dass es eine Weile dauern wuerde, bis das Paar wieder ein Bett teilte und dass das Huendchen ein treuer Freund sein konnte - besonders in ihrer jetzigen Situation. Sie rang einen Moment mit sich, dann gab sie nach: "Wenn er mir die Gaeste verschreckt oder sonst irgendetwas anstellt...wie heisst er denn ueberhaupt, ich beiden werden euch doch sicher schon einen Namen ausgedacht haben!"
"Nero!" antwortete Anna und drueckte den Kleinen mit strahlenden Augen an sich, "Thomas hat sich das ausgedacht! Wir duerfen ihn wirklich behalten?" Thomas' Mutter lachte laut auf: "Der Junge hat ja nur Unsinn im Kopf, aber mir gefaellts! Ja, duerft ihr - vorausgesetzt Otto hat nichts dagegen, er ist immer noch der Mann im Haus!" "Danke!" Anna jauchzte auf und fiel Agathe um den Hals. Sie glaubte nicht, dass Otto etwas dagegen haben wuerde.
Agathe streichelte den kleinen Hund, der bereits Freundschaft mit ihr geschlossen hatte und an ihrer Hand schnupperte. "Was habt ihr denn sonst noch angestellt, ausser herrenlose Tiere heimzubringen?" "Heute noch nichts!" verkuendete Anna froehlich, gab Agathe Nero auf den Arm und umarmte dann spontan Thomas: "Hast du gehoert? Wir duerfen ihn behalten!" Er legte instinktiv seine Arme um sie und freute sich mit: "Du warst schon immer tierlieb! Das ist wunderbar!" "Ja, besonders Huehner liebe ich ueber alles!" neckte sie ihn und zwickte ihn sanft in den Bauch. "DAS habe ich gemerkt!" lachte er und liess Anna los. "Jetzt haben wir vor lauter Hund deine Schwester gar nicht besucht!"
"Sie kommt sicher bald mal vorbei!" troestete Agathe und drueckte Thomas den neuen Gefaehrten wieder in die Arme. "So, und jetzt lasst mich das Abendessen machen!" Der Hund bellte einmal frech und machte es sich bei dem jungen Mann gemuetlich. "Ich fuehle mich schon fast wie ein Vater!" kicherte er. "Er sieht dir auch sehr aehnlich, wirklich!" Anna grinste ueber beide Ohren. "Werd nicht frech oder..." meinte er und piekste mit dem Zeigefinger gefaehrlich nahe in die Luft.
Obwohl er sie nicht traf, quietschte sie und schlang schuetzend die Arme um ihren Oberkoerper: "Nicht kitzeln, ich bin wahnsinnig kitzelig!" Thomas bekam ein Grinsen, das bis zu beiden Ohren reichte: "Also damit erzaehlst du mir nun wirklich nichts neues!" Sie musste wieder an das denken, was er ihr erzaehlt hatte, erroetete heiss und wandte sich rasch um, um Agathe beim Essenmachen zu helfen. "Ja lauf nur, irgendwann krieg ich dich sowieso!" lachte er ihr nach. An Nero gewandt, meinte er: "Und was machen wir beide jetzt, bis es Essen gibt?" Der Kleine wedelte mit dem Schwanz und versuchte, nach Thomas' Nase zu schnappen.
"Das laesst du mal lieber, die brauch ich noch!" kicherte er und setzte das Huendchen auf den Boden. Eine Weile koennte er noch mit ihm spielen und ging auf den Hof hinaus. Er nahm einen kleinen Stock und sandte ihn in hohem Bogen davon. Nero rannte so eilig hinterher, dass er stolperte und sich einmal ueberschlug, bevor er wieder auf die Beine kam und weiterrannte. Er war wirklich noch sehr jung und tolpatschig.
Thomas klopfte sich auf die Schenkel und prustete, was er konnte. Das wiederholten sie zig Male und der kleine Hund schien dem Spiel nicht ueberdruessig zu werden. Er war wohl sehr vernachlaessigt worden und froh, einen Spielgefaehrten gefunden zu haben. Nur hergeben tat er den Stock nicht so gern. Es gab regelmaessig ein heftiges Gezerre und Geknurre.
Angst, dass er gebissen wurde, hatte Thomas nicht wirklich. Es war eher eine kleine Machtprobe, die auch ihm Spass machte. Nach einer Weile kamen Helmut und Jochen auf den Hof, offenbar schon von dem neuen Haustier in Kenntnis gesetzt. Nero kam sofort freudig auf sie zu, bellte und nahm Spielhaltung ein, als fordere er sie auf, mitzumachen. "Na, was haltet ihr von unserem kleinen Freund hier?" wollte Thomas wissen.
Helmut ging in die Knie und kraulte Nero, der sich sofort auf den Ruecken fallen liess, am Bauch: "Er ist wirklich niedlich! Na Kleiner, gefaellt dir das?" Ein freundliches Knurren war die Antwort des Tieres, als es die Zuwendung genoss. "Es ist nicht zu fassen, euch kann man doch nicht ein paar Stunden alleine lassen, ohne dass irgendetwas passiert!" schuettelte Jochen amuesiert den Kopf.
"Aber Anna hat wirklich Glueck, dass sie vergessen hat DICH geheiratet zu haben!" frozzelte Helmut. Thomas stemmte die Haende in die Hueften: "Wie darf ich das denn verstehen?" Helmut lachte: "Na wer will schon mit dir verheiratet sein!?" "Nero, FASS!" sandte sein Bruder den Hund kichernd zum Angriff. Der wusste jedoch gar nicht, was gemeint war und wuselte nur froehlich an Helmuts Beinen entlang und drueckte sich verspielt dagegen.
Thomas' juengster Bruder betrachtete den Hund laechelnd: "Er ist wirklich bezaubernd!"
"Und als Beschuetzer noch nicht so recht geeignet!" stellte Thomas erneut belustigt fest. "Es sei denn, er kann einen Einbrecher durch Knuddeln so lange aufhalten, bis Hilfe kommt!"
Jochen lachte: "Ich wette das koennte er sogar! Wer koennte da widerstehen!" Nero war ganz verwirrt, dass er auf einmal gleich drei Herrchen hatte. Planlos wetzte er von einem zum anderen um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Thomas wechselte das Thema: "Berta war doch sicher in der Kirche, haben Vater und Mutter es ihr schon erzaehlt?"
Helmut nickte: "Ja. Sie hat so lange den Kopf geschuettelt, bis ihr schlecht wurde!"
"Dabei hat sie gar nicht so viel verloren wie ich! Sie teilt mit Anna 20 Jahre an Erinnerungen - im Gegensatz dazu ist fast alles zwischen uns verschwunden!" beschwerte Thomas sich muerrisch.
"Deshalb war sie nicht so bestuerzt." erklaerte Jochen, "Sondern weil ihr beiden einfach nicht zur Ruhe kommt!" "So langsam wird mir die Aufregung auch zuviel!" stimmte Thomas zu. "ABENDESSEN!" bruellte Otto reichlich unsensibel von drinnen. Stoehnend zuckte Thomas zusammen: "Seht ihr, was ich meine? Das hilft nicht gerade!" und lief von Nero begleitet zum Haus.
Anna trug gerade eine grosse mit dampfendem Gemuese gefuellte Schuessel zum Esstisch. Wieder hatte sie die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt. Er musste sie einfach ansehen, wie sie konzentriert arbeitete. Sehnsucht nach ihr versetzte ihm einen schmerzhaften Stich zwischen die Rippen, aber er zwang sich zur Geduld. Schliesslich war es fuer sie nicht minder schwer. Mit Nero zu seinen Fuessen nahm er Platz.
Anna spuerte seinen Blick und erwiderte ihn kurz. Dann tat sie ihm wortlos sein Essen auf. Er bedankte sich und wartete, bis alle etwas auf ihrem Teller hatten. "Wo ist er denn nun?" fragte Otto ploetzlich. Es war ganz klar, dass er Nero meinte. Anna, die sich neben Thomas gesetzt hatte, lehnte sich etwas zurueck und sah den kleinen Kerl zwischen den Fuessen ihres Mannes. Sie kicherte: "Er wartet auf die Reste!" Otto bueckte sich aechzend und warf einen Blick unter den Tisch: "Putzig sieht er ja aus!"
Nero merkte, dass ihm jemand Aufmerksamkeit schenkte, und tapste mit wedelndem Schwanz zu Otto hinueber. "Und zutraulich!" fuegte er hinzu, waehrend er das Tier kurz an den Ohren kraulte. Als er wieder von unter dem Tisch auftauchte, sah er gutgelaunt aus: "Da will ich mal nicht im Weg stehen - aber noch einer kommt mir nicht ins Haus!"
Anna strahlte Thomas an, sagte aber nichts. Sie war gluecklich und fuehlte sich im Kreis dieser Familie immer wohler. Ausgelassen assen sie zu Abend und fast jeder reichte Nero ein kleines Haeppchen herunter, so dass der Hund am Ende recht traege und faul auf dem Boden lag und sich nicht ruehren wollte. Anna sah skeptisch zu ihm hinunter: "Hoffentlich platzt er nicht...oder kotzt mir alles voll heute Nacht!" Thomas grinste: "Das kann schon sein, er ist es sicherlich nicht gewohnt, so verwoehnt zu werden!"
Das Tierchen gab ein Geraeusch von sich, und Bengt blickte ueberrascht unter den Tisch: "Ich wusste nicht, dass Hunde ruelpsen koennen!" Agathe musste die Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut loszulachen. "Tja, jetzt weisst dus!" Auch Anna hatte Muehe, nicht so amuesiert auszusehen, wie sie war. Sie stand auf und begann, den Tisch abzuraeumen. Sie war muede und wollte so bald wie moeglich ins Bett.
Jeder half mit und Thomas stellte sich neben seinen juengsten Bruder: "Keine Angst, heute Nacht brauchst du dir keine Gedanken ueber deinen Schlaf machen!" Ueberrascht sah Helmut ihn an: "Wieso, laesst Anna dich wieder ran?" Eilig hielt er den Finger an die Lippen: "Psst, nicht so laut! Glaubst du, das geht von heute auf morgen? Nein, aber ich kann heute bestimmt besser schlafen, wir verstehen uns praechtig!" "Mir waere es lieber ihr wuerdet euch schon gut genug verstehen um in einem Bett zu schlafen!" brummte Helmut, der sein Zimmer nicht gern teilte. "Wenn du darauf bestehst, dann kann ich zu Jochen oder Bengt umziehen..." gab Thomas etwas trotzig zurueck.
"Ist schon in Ordnung!" murrte Helmut, "Wozu sind Brueder denn da!?" Thomas hieb ihm kraeftig auf den Ruecken: "Na siehst du, das wollte ich hoeren! Wenn du mal spaeter Probleme hast, dann kannst du auch immer zu mir kommen!" "Ich komm drauf zurueck!" grinste Helmut. Der Tisch war inzwischen abgeraeumt, und Anna gaehnte ausgiebig. Sie fischte Nero unterm Tisch heraus: "Na komm, Kleiner...wir zwei gehen jetzt nochmal zur Linde im Hof, und dann ist Schlafenszeit!"
Ihr Mann stellte sich zu ihr und kraulte den Welpen zum Abschied ausgiebig: "Pass gut auf ihn auf heute Nacht, der findet alleine bestimmt nie wieder zurueck!" Anna genoss die Waerme und den Duft, der von Thomas ausging; gern haette sie ihn gebeten, doch auch mit ihr zu kommen, aber das ging ja nicht! Sie laechelte zu ihm auf: "Der muss auf mich aufpassen!"
"Wehe dir, wenn du deine Arbeit nicht gut machst!" mahnte er den Hund und sah dann Anna liebevoll an: "Gute Nacht!" Das Gefuehl in seinem Blick beruehrte sie tief. "Gute Nacht, Thomas!" antwortete sie leise. Ohne weitere Worte stieg er die Treppe hinauf und winkte ihr noch, bevor er im Obergeschoss verschwunden war. Sie winkte zurueck und hatte das Gefuehl, dass sie ihm einen Gute-Nacht-Kuss haette geben sollen. Aber jetzt war es schon zu spaet. Sie drehte sich um und ging mit Nero auf dem Arm in den Hof hinaus.
Die Adler-Familie sass bereits am Tisch und fruehstueckte. Als Anna eintrat, stand Agathe sofort auf und kam zu ihr, fragte besorgt: "Wie geht es dir?" Das Maedchen laechelte: "Gut, danke! Bis auf die Tatsache, dass mir ein paar Monate fehlen!" Ihr Blick irrte an Agathe vorbei und suchte Thomas.
Er winkte ihr erfreut zu. Seine Brueder waren erstaunlich still und rissen keine Witze wie sonst. Die Sache musste auch sie bedrueckt haben. "Komm, setz dich und staerke dich!" forderte Otto sie freundlich auf, "Kannst du dich schon an etwas erinnern?" "Jetzt draengel sie doch nicht so - das braucht Zeit!" tadelte Thomas sanft.
Es lag so viel Zaertlichkeit in diesem einfachen Satz, dass Anna ein freudiger Schauer ueberlief. Sie laechelte ihn an, mit dieser Scheu, die er an ihr noch nie gesehen hatte, und setzte sich dann neben ihn.
Auch wenn nicht er es war, den der Gedaechtnisverlust getroffen hatte, fuehlte sich Thomas doch auf eine sonderbare Weise aufgeregt wie am ersten Tag. Immerhin betraf das neue Kennenlernen ihn genauso wie sie. In der Tat war er so aufgeregt, dass ihm glatt sein Honigbrot aus der Hand fiel und einen klebrigen Fleck auf der Tischdecke hinterliess. "Entschuldigung!" murmelte er und fischte das Brot unter dem belusigten Blick seiner Mutter vom Tisch. Unter normalen Umstaenden haette sie etwas geschimpft, aber nicht heute.
Anna kicherte erheitert und wischte ein wenig auf dem Fleck herum. Immer wieder suchten ihre gruenen Augen Thomas' Blick, aber sobald der Kontakt hergestellt war, schoss ihr das Blut in die Wangen, und sie wandte sich ab. Otto grinste Agathe an; es war ganz offensichtlich, was sich da zwischen Thomas und Anna, verheiratet und guter Hoffnung, abspielte: Brautwerbung.
Jedesmal hielt er ihren Blick und wich nicht aus. Es war merkwuerdig, aber auf eine Art und Weise gab ihm der Unfall ein wunderbares Geschenk: Noch einmal die ersten Tagen und Wochen in ihrer Beziehung erleben zu duerfen, selbst wenn er weiter war als Anna. Er nahm sich vor, nichts zu ueberstuerzen und vertraute darauf - ja wusste mit Sicherheit - dass nichts, nichtmal dieser unglueckselige Zwischenfall sie auseinanderbringen konnte.
In gewisser Weise war es dieses Mal noch viel schoener, denn sie mussten sich nicht verstecken, konnten jene zarten Bande knuepfen, die es zwischen ihnen noch nie gegeben hatte. Anna selbst erfuhr mit aller Macht ein zweites Mal den Zauber der ersten Liebe. Sie wunderte sich, wie intensiv, wie ploetzlich diese Gefuehle kamen - Schmetterlinge im Bauch, Herzklopfen...und das alles nur durch einen Blick von einem Mann, den sie von Kind an verabscheut hatte.
Thomas nagte nur nebenbei an seinem Brot, und als Agathe mit dem Abraeumen begann, hatte er es noch nicht aufgegessen. Zu sehr war er mit Anna beschaeftigt, diesmal ohne die Angst vor einer Entdeckung. Es war ungemein befreiend und erhebend. Mit lachendem Gesicht sagte er: "Also wenn du dich an eins in Ansbach erinnern musst, dann ist es unser Pfarrer! Er ist nicht nur eine fuerchterlich kuriose Gestalt, sondern du hast dich auch schon mit ihm angelegt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen!"
Sie verzog leicht das Gesicht: "Ist es noch derselbe wie damals, als wir Kinder waren?"
"Ja - leider!" nickte er. Ihr Gesichtsausdruck nahm angeekelte Formen an: "O Gott, der Hoellenprediger! Muessen wir denn wirklich in die Kirche gehen?" "Wenn ihr nicht wollt, koennt ihr heute ausnahmsweise auch zu Hause bleiben! Vielleicht ist es ganz gut, wenn ihr ein bisschen Zeit alleine verbringt!" stellte Otto fest.
Was fuer eine Vorstellung! Soweit Anna sich erinnerte, waere niemals jemand auf die Idee gekommen, sie mit einem Mann ganz allein in einem Haus zu lassen. Die pure Unschicklichkeit dieses Gedanken sorgte dafuer, dass sie leicht erzitterte. "Um dem Pater zu entkommen wuerde ich einiges auf mich nehmen...sogar mit Thomas alleine bleiben!" neckte sie schelmisch.
Jetzt stiess er sie laechelnd an der Seite an: "Na hoermal, ich war immer anstaendig...naja...meistens!" "Dann ist das ja wohl heute deine Bewaehrungsprobe!" Ottos Augen funkelten amuesiert. Er stand auf: "Und wir machen, dass wir loskommen. Wenn wir zu spaet sind, erzaehlt uns der Pater wieder stundenlang was fuer schlimme Suender wir sind!" Das uebliche Murren der anderen Soehne und eine kleine Portion Neid, weil sich die beiden vor der Kirche druecken konnten, begleiteten den Abgang der Familie.
Die Tuere fiel ins Schloss, und es war erstmal mucksmaeuschenstill. Keiner sagte etwas. Thomas blieb seelenruhig am Tisch sitzen und machte keine Anstalten, aufzustehen. Schliesslich erhob sich Anna und fing an, den Tisch abzuraeumen. Er half ihr und trug Honig und Marmelade in die Kueche. "Mein Gott, diese Stille ist ja nicht auszuhalten -sag mal was!" kicherte er.
Sie spuerte sich erneut erroeten und aergerte sich darueber: "Was soll ich denn sagen?"
"An was denkst du gerade?" wollte er wissen. Sie hob die Schultern: "Was ich wohl alles vergessen habe...und wie es sein wird, es neu zu entdecken!" Thomas wirkte nachdenklich: "Vielleicht ist es besser, wenn du manche Dinge gar nicht mehr weisst. Es war nicht immer einfach..." "Ich moechte aber alles wissen! Ich muss alles wissen!" antwortete sie sofort. Er stiess einen tiefen Seufzer aus. "Da sind ein paar schlimme Dinge dabei..." sagte er leise. "Aber du hast ein Recht darauf, es ist ja dein Leben!" "Ausserdem bin ich ein grosses Maedchen!" Sie zwinkerte ihm zu. "Ich werde es bestimmt ueberstehen!" "Setzen wir uns in ein Nebenzimmer? Ich mache ein Feuer an, so langsam wird es kalt hier! Ausserdem kann man da besser erzaehlen!" fragte er laechelnd. "Ja, gern!" Sie erwiderte sein Laecheln, "Ich mache ein wenig Milch heiss, moechtest du auch welche?" "Ja bitte!" Er schlenderte aus der Kueche, und kaum fuenf Minuten spaeter war das Knacken des Feuers im Kamin zu hoeren. Langsam aber sicher breitete sich wohlige Waerme im Raum aus.
Anna kam aus der Kueche, trug einen Krug mit dampfender Milch. Die Zungenspitze hatte sie zwischen die Lippen gesteckt, als koenne sie damit besser balancieren. Vorsichtig stellte sie den Krug auf den Tisch, holte zwei Becher aus dem Schrank und goss ein.
Unverhohlen sah er sie an: "Das hast du frueher nie gemacht, das mit der Zunge!"
Blitzschnell war die Zungenspitze verschwunden, und sie fuhr sich verlegen durchs Haar: "Doch, manchmal...wenn ich mich konzentriere mache ich das." "Siehst du, jetzt bemerke ich so manches, was mir zuvor vielleicht nicht gleich aufgefallen ist - schon komisch, oder?" Er griff nach der Milch, nippte und machte es sich am Kamin bequem.
Ein wenig ungelenk und unsicher liess sich das Maedchen neben ihm nieder, und es war Thomas unbegreiflich, wie sie dabei immer noch so elfenhaft anmutig aussehen konnte.
Er sah schnell weg, als er merkte, dass er sie anstarrte und lenkte davon ab, indem er fragte: "Soll ich weitererzaehlen?" "Ja, bitte!" Sie blickte laechelnd in ihren Becher: "Ich mag Liebesgeschichten!"
Thomas lachte unkontrolliert, denn die Situation war einfach zu komisch. Er kaempfte die letzten Reste von Scham nieder und setzte die ihre Geschichte fort. Nichts liess er aus, selbst wenn sie beide dabei wie rote Aepfel anliefen. Als er bei Lotte angelangt war, sagte er kichernd: "Wenn du sie das naechste Mal siehst, musst du dich nicht wundern, wenn sie dich lustig anschaut - sie hat uns beim Kitzeln erwischt! Du bist beinahe im Boden versunken!"
Anna war hin und her gerissen zwischen Lachanfaellen und toedlicher Verlegenheit. Zum hundertsten Mal bedeckte sie ihr Gesicht mit den Haenden: "O Himmel, ich kann nicht glauben, dass uns sowas wirklich gefaellt!" "Das siehst so suess aus, wenn du das machst!" Er erzaehlte und erzaehlte und kam schliesslich zu dem Punkt, an dem sie Jochen das Jawort gegeben hatte: "Das war ein ziemlich schlimmer Tag fuer uns beide. Du wollstest ihn eigentlich gar nicht heiraten, aber bei uns war es so aussichtslos, dass du sein Angebot angenommen hast! Ich weiss nicht, wie er das Ganze jetzt auffasst, aber ich wuerde an deiner Stelle vorsichtig sein! Er mag dich wohl immer noch..."
Das liess Anna aufhorchen. Sie musterte Thomas kurz von oben bis unten und grinste breit: "Hast Du Angst vor Konkurrenz?" Erst schuettelte er den Kopf: "Nein, wir sind doch verheiratet!", aber dann gab er kleinlaut zu: "Vielleicht bin ich ein bisschen eifersuechtig, das kann schon sein!" Wie suess er war! Anna musste sich gegen eine Welle zaertlicher Gefuehle wehren, die in ihr hochstieg und auftrug, ihn einfach in die Arme zu nehmen.
Es dauerte noch ueber eine halbe Stunde, bis sie an dem Zeitpunkt ihrer Entdeckung angelangt waren. Thomas hatte ihr bisher alles erzaehlt, von Jochen, Friedhelm, ihrer Trennung und der Versoehnung, wie sie immer hatten zittern muessen aus Ungewissheit vor der Zukunft. Als es nun ans Eingemachte ging, zoegerte er erneut und holte tief Luft, bevor er weitersprach: "Bis hier hast du deine Liebesgeschichte, aber dann kam der Tag, der alles veraenderte und gleich wirst du auch verstehen, warum du nicht mehr in Rothenburg bist!"
Anna hatte zwar alles vergessen, aber dumm war sie nicht. Genau so wie sie damals gewusst hatte, dass die Hoelle losbrechen wuerde, wenn man sie erwischte, war ihr das auch jetzt klar. Sie senkte den Kopf: "Man hat uns erwischt!"
Er nickte: "Deine Mutter war es. Wir waren im Stall bei den Kaninchen und konnten uns wieder einmal nicht beherrschen. Als ihr die Toepfe heruntergefallen sind und sie schrill deinen Namen gerufen hat, habe ich gedacht, mein Herz bleibt gleich stehen. Ich hatte schreckliche Angst, dich zu verlieren. Du warst blass wie ein Leintuch, als sie mir eine gescheuert hat."
Spontan streckte sie die Hand aus und beruehrte ihn - aehnlich wie am Abend zuvor - an der Wange: "Hat es sehr wehgetan?" Thomas versuchte zu laecheln, aber es gelang ihm nicht. Klaeglich meinte er: "Ich habe es gar nicht gespuert, ich war betauebt vor Angst! Hiltrud hat dich an den Haaren in die Kueche gezerrt und wild gezetert. In deinem Zimmer wurdest du eingesperrt, und dein Vater hat sich ueber mich hergemacht. Uebelst geschimpft hat er, er war ausser sich vor Zorn! Ich dachte schon, hoffte schon, er wuerde es bei einer gehoerigen Standpauke belassen und dich nicht anruehren..." Seine Stimme wurde zum Ende des Satzes leise, kaum zu hoeren.
Anna schluckte schwer: "Aber das hat er!" Ein Nicken war die Antwort. "Ich wollte ihn davon abhalten, ihn daran hindern, aber das haette alles noch viel schlimmer gemacht! Er hat dich schlimm...mit dem Guertel...deine Schreie - oh ich kann das nicht!" klagte er und verbarg diesmal sein eigenes Gesicht. "Schon gut!" Ihre Stimme zitterte ein wenig, aber ansonsten war sie gefasst und stark, als sie ihm zart ueber den Ruecken strich. "Jetzt ist es ja vorbei! Wir haben es ueberstanden!"
Ihre Beruehrung beruhigte ihn sofort ein wenig. "Ein einfacher Tag wars nicht...das steht fest! Auf jeden Fall bin ich noch am selben Abend aus Rothenburg aufgebrochen, nachdem Anselm mir verboten hat, die jemals wiederzusehen und dich ins Kloster stecken wollte!" Anna schauderte: "Ins Kloster...was fuer ein grauenhafter Gedanke! Da waere ich lieber tot!" "Oh glaub mir, das habe ich mir an dem Tag gewuenscht! Zumal es fuerchterlich gestuermt hat! Natuerlich hat sich alles geaendert, als wir uns gegenseitig in einer Scheune nicht weit von der Stadt praktisch ueber den Haufen gerannt haben!"
Ihre Augen leuchteten auf: "Die Geschichte ist fast wie ein Maerchen...es muss Schicksal gewesen sein!" Den ganzen Vormittag erzaehlte er, und Anna hoerte fasziniert zu. Thomas berichtete besonders ausfuehrlich von ihrer Hochzeit und dem Aufenthalt im Kloster, verschwieg aber andererseits auch nicht solche Dinge wie die Beinahe-Vergewaltigung und seinen Fehler mit Mariella.
Besonders bei der Erzaehlung von Mariella machte Anna ein besonders merkwuerdiges Gesicht; sie fuehlte sich auch merkwuerdig. Obwohl sie keinerlei Erinnerung an ihre Beziehung hatte, gefiel es ihr nicht, dass er diese andere Frau gewollt hatte! "Tja, viel mehr gibt es nicht zu sagen! Wir sind wieder hergekommen, nachdem ich dir in der Flut das Leben gerettet habe, und sonst ist seit da eigentlich nichts besonders Aussergewoehnliches passiert - bis auf gestern eben!" schloss er die Geschichte ab.
"Das reicht ja auch fuer drei Leben!" laechelte sie. Thomas grinste: "Ich kann mich nicht beklagen, zu wenig mit dir erlebt zu haben - und das in nur einem halben Jahr!" Sie streckte sich behaglich auf dem Fell, das vor dem Kamin lag, aus: "Es scheint jedenfalls, als waere unsere Liebe etwas ganz besonderes!"
Ihre Aussage freute und schmerzte ihn zugleich. Er bemuehte sich, neutral zu wirken, als er sagte: "Ja, scheint so..." Schweigend blickte Anna in die Flammen. Sie spuerte ihre Verlegenheit wachsen. Die Augen geschlossen, seufzte er und meinte: "Schon merkwuerdig, oder? Denkst du, das bedeutet etwas, der Unfall?" Sie wandte ihm den Blick zu: "Was meinst du? Was sollte er bedeuten?" "Ich weiss doch auch nicht, sonst wuerde ich nicht fragen!" antwortete er hilflos. "Es ist nur so - wir hatten alles, wirklich alles! Sogar eine Lehrstelle habe ich bekommen und dann" er schnippte mit den Fingern, "ist alles fort...es ist zum Heulen!"
Anna runzelte die Stirn: "Willst du damit sagen, dass es einfach nicht sein soll, dass wir zusammen sind?" "Um Gottes Willen, nein!" beeilte er sich zu erwidern. "Ich bin nur etwas niedergeschlagen, das ist alles!" Seine Frau drehte sich auf den Ruecken und blickte zur Decke: "Findest du es nicht irgendwie auch ein bisschen romantisch?" "Ich muss zugeben, es hat auch Vorteile!" musste er gestehen. "Bei uns ging alles so schnell - ich hatte das Gefuehl, wir wurden ueberrollt, hatten gar keine Kontrolle ueber das, was geschah! Jetzt koennen wir es langsam angehen lassen ohne...du weisst schon!" "Nein, was denn?" Mit verschmitztem Blick stemmte sie sich auf die Ellbogen und sah ihn an.
Er kicherte: "Das hat sich an dir nicht geaendert! Du liebst es, andere Leute zu reizen!" Thomas sprach es aus: "Na ohne den Drang, alle fuenf Minuten uebereinander herzufallen wie die Karnickel!" Ihr Gesicht gluehte augenblicklich: "Das kam vielleicht davon, weil wir uns verstecken mussten!" "Ja, das kann gut sein!" lachte er. "Aber vielleicht auch nicht!" Schon kam wieder dieses schelmische Blitzen in ihre Augen zurueck. "Ich werde es dir dann mitteilen, nachdem wir ein zweites erstes Mal erlebt haben!"
Thomas spuckte fast die Milch, die er im Mund hatte, in hohem Bogen ueber den Tisch: "Was? Du planst aber schon weit, wenn man bedenkt, dass du mich gestern noch gehasst hast!" Sie hob die Schultern: "Ich habe ja keine Wahl! Ich trage dein Kind!" "Ich werde dich jedenfalls zu nichts draengen, zu dem du noch nicht bereit bist!" versprach er. Sie nickte nur und senkte in einem erneuten Anflug von Verlegenheit den Blick.
"So, genug davon! Was willst du heute machen, da wir dem Pfarrer entkommen sind?" laechelte er. "Vielleicht einen Spaziergang machen!" schlug sie mangels besserer Ideen vor. "Gern!" Thomas stand auf. "Wir koennen auf dem Weg bei einem Freund von mir vorbeischauen und vielleicht ist Berta nachher ja zurueck - sie wird bestimmt auch in der Kirche sein!" "Das waere toll!" Annas Augen leuchteten auf. Sie wollte ihre Schwester gern sehen. Ihr Mann stieg die Treppen hoch und rief: "Es ist aber kalt draussen, ich schau mal, ob ich einen Umhang von meiner Mutter finde!" Laechelnd sah Anna ihm nach; es gefiel ihr, wie ruehrend besorgt er um sie war.
Die Idee war gar nicht schlecht gewesen. Kaum waren sie auf die Strasse hinausgetreten, wehte ihnen ein kalter Wind entgegen und liess die Blaetter wilde Taenze in der Luft vollfuehren. Anna mummelte sich tief in den wollenen Mantel, bis nur noch ihre Augen herausschauten. Thomas bekam einen kleinen Lachanfall: "Du siehst aus, wie die Frauen im Orient! Ich habe gehoert, sie muessen sich tagtaeglich auch bei gluehender Hitze bis auf die Augen verdecken - ein durchreisender Haendler hat davon erzaehlt, aber ich weiss nicht, ob es auch stimmt!"
"Na von gluehender Hitze kann man hier ja nicht gerade sprechen!" kam ihre gedaempfte Stimme aus der Wolle. "Pass nur auf, dass du noch genug siehst und niemanden umrempelst!" warnte er amuesiert. Sie zog den Umhang herunter, lange genug, um ihm die Zunge herauszustrecken. Dann kuschelte sie sich wieder hinein.
Es waren diese kleinen Dinge, die er an ihr liebte. Sie konnte so herrlich frech werden und im naechsten Augenblick wieder eine wahre Schmusekatze sein. Er schwelgte in Erinnerungen, waehrend sie die Strassen entlangliefen und kaum einer Menschenseele begegneten. Die ganze Zeit blieben sie streng nebeneinander, ohne sich zu beruehren. Nur gelegentlich strichen sie zufaellig aneinander, und selbst diese unschuldige Beruehrung loeste bei Anna eine Gaensehaut aus.
Einfach war es fuer ihn nicht, von einem Zustand der ungebaendigten Leidenschaft zu einer Keuschheit ueberzugehen, von der sie sich ironischerweise zusammen vorgenommen hatten, sie nie mehr erleben zu muessen. Er wollte sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass alles wieder so wuerde wie frueher, so wie es sein sollte. Aber das wagte er dann doch nicht. "Schau mal, da vorne ist Peters Haus, daran erinnerst du dich wohl nicht, oder?"
Traurig schuettelte sie den Kopf: "Nein!" "Macht nichts!" Thomas war optimistisch: "Du wirst es sicher geniessen, ihn zum zweiten Mal kennenzulernen!" Als sie vor der Tuer standen und er schon die Hand zum Anklopfen gehoben hatte, hielt er inne: "Ach ja, das weisst du ja gar nicht mehr: Er hatte einen Unfall und sieht...anders aus! Das solltest du vielleicht wissen!" Als Peter oeffnete, wusste Anna sofort, was Thomas meinte. Aber wie beim ersten Mal zeigte sie keinerlei Erschrecken. Peter lachte sie an: "Ach...der Engel! Was fuehrt euch zu mir?" "Du magst doch Geschichten Peter, oder? Dann haben wir eine, sagen wir mal aussergewoehnliche fuer dich!" begruesste Thomas seinen Freund. Peter blickte von Thomas zu Anna: "Was habt ihr schon wieder angestellt?"
"Das erzaehlen wir besser drinnen, hier ist es so kalt!" fachte Thomas Peters Neugier an. Eilig trat er zur Seite und liess sie in die warme Stube. Peter bemerkte Annas Blick, der jedes Detail des Raumes aufsog, und er fragte: "Was ist, suchst du was?" Sie schuettelte den Kopf: "Nein...es ist nur...ich kann mich nicht erinnern schon einmal hier gewesen zu sein!"
Der junge Mann machte ein grosses Gesicht und war gaenzlich ueberrascht: "Was? Du machst Witze, oder? Du warst schon immer lustig!" Ihr Laecheln war etwas klaeglich: "Leider kein Witz...ich habe bei dem Sturm einen Ast an den Kopf bekommen...sagt Thomas!" "Alles andere glaubst du mir, nur das nicht?" wunderte er sich, noch bevor Peter etwas sagen konnte. Anna schuettelte den Kopf: "Ich wollte nur betonen, dass ich mich auch daran nicht erinnere!"
Thomas' Freund musste sich erstmal setzen. "Ihr nehmt mich nicht auf den Arm?" erkundigte er sich nochmals unglaeubig. Beide schuettelten die Koepfe. "Also das hab ich ja noch nie erlebt!" Peter war vollkommen baff. "Du erinnerst dich an absolut gar nichts mehr?" "Doch, schon!" antwortete Anna, aber ich kann mich nicht erinnern, mich in Thomas verliebt zu haben. Peter sah diesen mitfuehlend an: "Ach du dickes Ei! Und was macht ihr jetzt?" "Noch einmal anfangen!" antwortete Anna mit ruhiger, bestimmter Stimme.
"Gibt es irgendwas, wie ich helfen kann?" wollte der Metzgersohn wissen. "Nur wenn du einen Trick weisst, mit dem ich mich wieder erinnere!" Anna laechelte. Peter ueberlegte eine Weile und sagte dann zu den beiden: "Thomas muss dir alles genau erzaehlen und noch viel wichtiger: Er muss dir alle Orte zeigen, an denen ihr gewesen seid!" "Das wird sicher interessant!" Sie warf Thomas einen kurzen Blick zu.
Der stoehnte: "Und verflixt schwer!" und erklaerte genauer: "Nach Rothenburg koennen wir in naechster Zeit sowieso nicht gehen! Am Ende haengen deine Eltern mir auch noch diese Sache an! Und ich weiss ja selbst nicht so recht, wo wir in den Monaten genau herumgeirrt sind - davon abgesehen werden wir zu dem Bauernhof sowieso nie mehr zurueckkehren, das garantiere ich dir!"
Peter zuckte die Achseln: "Nun, vielleicht ist es ja gar nicht noetig, dass sie sich erinnert!" Thomas seufzte: "Warum nicht? Es gibt so viele schoene Dinge, die wir erlebt haben, das will ich ihr unbedingt zurueckgeben!" Annas Herz tat wieder einen kleinen Hopser, als er das sagte. Peter laechelte: "Erzaehl ihr davon...und gib ihr neue schoene Erinnerungen!" Ihr Mann gab sich tapfer: "Ich werds versuchen!" Lachend schlug Peter ihm auf den Ruecken: "Ihr habt weit schlimmeres durchgestanden! Und jetzt raus mit euch...ihr wollt doch sicher Zeit fuer euch beide!"
"So ist der immer - hat nie Zeit fuer uns!" grinste Thomas und nutzte es aus, dass Anna Peter nicht mehr im Gedaechntnis hatte. Peter prustete etwas unverstaendliches und schob die beiden zur Tuer hinaus.
Diesmal hielt Thomas ihr den Arm hin und kicherte: "Werte Dame, darf ichs wagen?" Sie kicherte ebenfalls: "Aber natuerlich, edler Herr!" und hakte sich bei ihm unter. "Schade, dass es nicht Fruehling ist, sonst koennten wir wieder irgendwo auf der Wiese gemuetlich was essen!" seufzte er. "Aber lass uns deine Schwester besuchen, die Kirche duerfte so langsam um sein!"
Aus irgendeinem Grund hatte Anna im Augenblick ueberhaupt keine Ambitionen, in der Stadt zu bleiben. Sie wollte den Stadtmauern entkommen. "Koennen wir nicht lieber vor den Toren spazierengehen?" fragte sie, "Da gibt es doch diesen Bach...als Kinder haben wir dort gespielt!" "Richtig!" strahlte er. Dann blickte er schuldbewusst zu Boden: "Ich habe mich zwar schonmal dafuer entschuldigt, aber die Sache mit dem Frosch war schon uebel! Hast du geschrien, als ich dir das arme Tier auf den Bauch gesetzt habe, waehrend du geschlafen hast! Bitte entschuldige!"
Sie grinste: "Keine Sorge...ich habe mich dafuer geraecht!" "Was meinst du genau?" bohrte er nach. "Erinnerst du dich an die Kaulquappen in deinen Schuhen?" "Du warst das?" rief er mit gespieltem Entsetzen. "Das hast du mir vorher aber tunlichst verschwiegen!" "Ach wirklich?" Sie lachte. "Na jetzt weisst du es!"
Thomas beneidete die Wachen am Stadttor nicht, die den ganzen Tag in dem kuehlen Wind Wache schieben mussten. Die Baeume fingen ihn mit ihren Aesten und Blaettern auf und wiegten sich sanft, manchmal aber auch recht deutlich, wenn die Staerke abrupt zunahm. Er nahm einen tiefen Atemzug nach dem anderen und genoss es, sich nicht in den engen Strassen herumdruecken zu muessen. Anna sog die Luft, die nach Regen und Erde roch, tief in sich ein. Leichte Nebelschwaden zogen ueber die Wiesen um Ansbach, und der Bach plaetscherte neben ihnen dahin.
Thomas ertappte sich dabei, sie manchmal anzustarren und sah dann immer schnell in die andere Richtung. Der dicke Umhang verhinderte sowieso, dass er mehr als das Noetigste von ihr zu Gesicht bekam. "Schoen hier, oder?" lenkte er ab. "Ja, es ist wunderbar!" seufzte sie, "So friedlich!" Auf einmal fiel ihr Blick hinunter ins Bachbett. Dort lag ein kleiner Jutesack...und er bewegte sich. Argwoehnisch kniff Anna die Augen zusammen: "Was ist denn das?" Ohne Thomas' Antwort abzuwarten, sprang sie den kleinen Abhang in den Bach hinunter und watete auf den Sack zu.
"Nicht doch, das Wasser ist doch kalt!" rief er ihr hinterher. Aber auch seine Neugier war geweckt. Eine dunkle Vorahnung erfasste ihn. Annas Rocksaum und der Wollmantel sogen sich langsam von unten her mit Wasser voll, aber sie spuerte es kaum. Naeher und naeher kam sie dem Sack, und wirklich, er bewegte sich. Ahnungsvoll ging sie in die Hocke, nestelte die durch das Wasser ausgedehnte Schnuerung auf und oeffnete den Sack.
Zum Vorschein kam ein pechschwarzer, zotteliger Hundewelpe, der am ganzen Koerper zitterte vor Kaelte und Furcht, jaemmerlich winselte und bei dem man vor lauter Fell den Kopf nicht sehen konnte. "Oh, du armer kleiner Kerl!" entfuhr es Anna voller Mitgefuehl.
"Was hast du denn schon wieder..." fragte Thomas beim Naeherkommen und verstummte in seiner Frage, als er sah, was sie gefunden hatte. "Du meine Guete, den wollte wohl jemand nicht mehr!" entfuhr es ihm, und man konnte die Verachtung deutlich aus seiner Stimme heraushoeren. "Was fuer Menschen tun sowas!?" entfuhr es Anna bitter, als sie sich erhob und das Tierchen aus dem Sack schaelte. Ungeachtet dessen, dass der Welpe voellig durchnaesst war, presste sie ihn unter ihrem Wollmantel an ihre warme Brust.
"Du willst ihn doch nicht etwa mitnehmen, oder?" Thomas blickte sie skeptisch an. Ueberrascht blickte sie zu ihm hoch: "Natuerlich, was denn sonst? Willst du ihn gleich hier ersaeufen?" Er wirkte aergerlich: "Wie kannst du sowas nur sagen? Aber wir koennen doch nicht jedes Tier einfach aufnehmen, nur weil es uns leid tut!"
"Siehst du ausser ihm hier noch irgendwelche Tiere?" konterte sie, "Er ist nass, und ihm ist kalt, und er ist ganz allein! Ich lass ihn doch nicht einfach hier, er ist viel zu klein, er wuerde sterben!" Thomas brummte: "Du weisst genau, dass ich das nicht woertlich gemeint habe!" Leise fuegte er noch etwas hinzu, das wie "Frauen!" klang.
Sie hatte es auch gehoert und kniff ihn dafuer in die Seite. Der Welpe, dem es anscheinend in der wohligen Waerme unter dem Mantel besser ging, steckte sein Koepfchen hervor und blickte Thomas mit seinen grossen, traurigen Augen an. Abwehrend hob Thomas die Haende und meinte zu dem kleinen Hund: "Schau mich bloss nicht so an! Mir reicht es schon, wenn ich einem Blick nicht widerstehen kann!"
Anna deutete das ganz richtig, hob den Welpen an ihre Wange und imitierte sehr wirkungsvoll seinen Blick. "Das ist ja nicht zum Aushalten!" stoehnte ihr Mann. "Na gut - aber damit wir mal zwei Dinge klarstellen: Das ist der einzige Hund, den wir mitnehmen und du darfst mindestens einen Monat diesen Blick nicht mehr benutzen!" Sie lachte auf: "Versprochen!" Dann gab sie ihm spontan einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und lief zurueck hinauf auf den Weg.
Er fasste sich an die Stelle, wo sie ihn gekuesst hatte, laechelte und folgte ihr dann. Sie drehte sich nach ihm um und rief voller Ungeduld: "Komm schon, beeil dich...der Kleine hat sicher Hunger!" "Ich komm ja schon, ich komme ja!" Thomas schloss zu ihr auf: "Bin mal gespannt, was meine Eltern zu unserem neuesten Familienmitglied sagen!" Anegstlich drueckte Anna den Welpen an sich: "Glaubst du, sie wuerden mir verbieten, ihn zu behalten?"
"Ich kann ja ein gutes Wort einlegen - aber nur, wenn es unser Huendchen ist!" entgegnete er. Sie laechelte ihn an: "Natuerlich ist es unser Huendchen...wie moechtest du ihn nennen?" Er ueberlegte eine Minute und schlug dann vor: "Wie waere es mit...Nero?" Anna ueberlegte kurz: "Ja, das ist schoen! Also, Nero...so heisst du jetzt!" Sie blickte auf den Welpen hinunter, und er schaute zu ihr hoch und leckte ihr kurz ueber die Nase. "Ich glaube, er mag dich!" kicherte Annas Mann. "Aber Nero schlaeft nicht bei uns im Bett!" bestimmte er und biss sich auf die Zunge, weil er geredet hatte, ohne zu denken. "Aeh, du weisst, was ich meine...ich wollte nicht vorschnell..." stammelte er verlegen.
Sie war ein bisschen rot geworden: "Nein, ist schon in Ordnung...irgendwann...lasse ich dich bestimmt wieder zu mir kommen..." "Ich bin ganz froh, dass du so begeistert bist, ich habe naemlich nicht wirklich viel Ahnung von Hunden - auch wenn wir ein bisschen Zeit mit Harras verbracht haben! Hier in Ansbach hatten wir selber nie einen!" gestand er. "Dann wird es aber Zeit!" fand Anna, "Jede Schenke braucht doch einen Hofhund!" Thomas grinste: "Ich habe da meine Zweifel, dass dieses kleine wuschelige Ding einen guten Wachhund abgibt! Der kann wohl nur schmusen so wie es aussieht!"
Anna streckte ihm die Zunge heraus und herzte das Tierchen: "Momentan muss er auch gar nichts anderes koennen ausser schmusen! Aber warte mal, wenn er erst gross ist!" "Dann koennen wir zusammen herumtollen und raufen!" freute er sich. Die Idee, den Hund zu behalten, gefiel ihm von Minute zu Minute besser. Anna freute sich, Begeisterung in seinen Augen zu sehen, und gemeinsam malten sie sich aus, was sie Nero alles beibringen konnten, als sie sich auf den Weg zur Schenke machten. Thomas bereitete sich schon innerlich darauf vor, ihre neue Errungenschaft mit Zaehnen und Klauen verteidigen zu muessen. Inzwischen duerften alle zurueck sein und wuerden sich wundern, was das Paar am Vormittag aufgegabelt hatte.
Aber Anna hatte anderes im Sinn als das Huendchen direkt zu praesentieren; sie zupfte Thomas am Aermel: "Lass ihn uns zuerst etwas zurechtmachen! Besorgst du ein bisschen Milch oder sowas fuer ihn? Wir treffen uns in der Badestube! Sieh zu, dass du niemandem begegnest!" "Einverstanden!" rief er freudig und schlich durch den Hintereingang ins Haus. Prompt musste er sich hinter einer Saeule verstecken, denn sonst haette ihn Agathe gesehen, die gutgelaunt mit einem kleinen Mehlsack in Richtung Kueche spazierte. Offensichtlich war die Predigt ausnahmsweise doch nicht so schlimm gewesen.
Anna machte in der Zwischenzeit etwas Wasser warm und goss es in einen kleinen Zuber. Dann fing sie Nero, der inzwischen neugierig durch die Badestube schnupperte, ein, packte ihn in den Zuber und seifte ihn ordentlich ein. Es schien ihm zu gefallen, denn er platschte munter im Wasser herum und spritzte Anna von oben bis unten nass.
Etwa fuenf Minuten spaeter quietschte die Tuere leise und Thomas trat ein: "Mensch, das war aber knapp! Beinahe waere ich erwischt worden!" Er sah sich um: "Wie sieht es denn hier aus! Waschen sollst du ihn, nicht alles unter Wasser setzen!"
"Versuch du doch mal, einen kleinen Hund ruhig zu halten!" brummte sie. In dem Moment entschied Nero, sauber genug zu sein. Er sprang aus dem Zuber, tapste freudig auf Thomas zu und sprang mit seinen im Verhaeltnis zum Koerper riesigen patschigen Pfoetchen an ihm hoch. "Nicht doch!" jammerte der, verriet sich aber durch sein Lachen. "Da kann ich ja gleich mit in den Zuber steigen!"
Das nahm Nero anscheinend als Aufforderung; er schuettelte sich, dass die Tropfen in alle Richtungen flogen. Anna platzte fast vor Lachen. Egal wohin er auch auswich, der Welpe folgte ihm auf dem Fusse und hatte groesstes Vergnuegen, den jungen Mann nass zu machen. "Jetzt langts!" juchzte der, entledigte sich seines Hemdes und begann, mit dem Hund herumzutollen. Es war ein unglaublich hinreissender Anblick. Anna beobachtete die beiden mit Entzuecken, und sie spuerte ihr Herz heftig schlagen. Es endete damit, dass Thomas auf dem Ruecken lag, Nero auf seiner Brust und ihn abwechselnd anhechelte oder abschleckte. Sanft schob er das Tier von sich herunter und grinste Anna an: "Danke, dass du nicht nachgegeben hast! Ich mag ihn wirklich!" Sie laechelte zurueck: "Er mag dich auch!" Wieder roeteten sich ihre Wangen, als sie leiser hinzufuegte: "So wie ich!"
Thomas spuerte, wie er aufgeregt wurde und sich frisch verliebt fuehlte. Er strahlte Anna an und meinte: "Nachdem Nero jetzt sauber ist, sollten wir uns vielleicht etwas in Ordnung bringen! Gib du ihm schonmal Milch, ich hole mir neue trockene Kleider!"
Begeistert goss Anna Milch in eine Schale und rief den Hund herbei; er hoerte schon auf ihre Stimme, schnupperte erst skeptisch an der Milch, aber als sie ihre Finger hineintauchte und ihm vor die Nase hielt, leckte er sie schliesslich ab und schlabberte dann mit wachsender Begeisterung die Milch.
Ihr Mann konnte sich diesmal ohne Hund und Milch ungehindert bewegen und kam schnell wieder frisch angezogen zurueck. Inzwischen hatte sich auch Anna schnell umgezogen und zu dritt standen sie in der Badestube. "Na dann lass es uns hinter uns bringen!" Nero war inzwischen trocken und blickte aufmerksam und mit heraushaengender Zunge zu seinen neuen Kameraden auf. Anna bueckte sich und hob ihn hoch. "Er ist so putzig!" fand sie, "Sie koennen ihn gar nicht wegschicken!" "Das denke ich auch, aber ich will nicht, dass du nachher enttaeuscht bist, wenn sie es doch tun!" sagte er sanft und legte ihr lachend eine Hand auf die Schulter: "Schau mal, wir sind schon eine richtige Familie - vielleicht nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt habe, aber es ist ein Anfang!" Ihre Augen funkelten amuesiert: "Du hast recht...du, ich und unser Hundekind!"
Zusammen kehrten sie zum Haupthaus zurueck. Es war nicht einfach, Nero versteckt zu halten, denn er sprang munter um ihre Beine herum und wollte spielen. Kaum dass Thomas die Tuere geoffnet hatte, nahm ihr neuer Begleiter den beiden die Initiative ab und war ins Haus geflitzt. Anna und Thomas tauschten erheiterte Blicke aus: "Mal sehen, wer ihn zuerst findet!"
Agathes schriller Schrei und ein lautes PUFF beantworteten die Frage. Im selben Moment kam Nero laut jaulend zurueckgelaufen, aber er war nicht mehr schwarz, sondern schneeweiss; offensichtlich hatte Agathe ihren Mehlsack ueber ihn gekippt. Fiepend floh das Tier zu Anna, die sich bueckte und ihn hochhob.
Thomas traute sich weiter in die Stube und lief auf seine Mutter zu: "Sieht so aus, als hast du unseren neuen Freund schon gefunden - oder besser gesagt er dich!" Agathe hatte beide Haende vor die Brust gepresst: "Um Himmels Willen, wollt ihr mich zu Tode erschrecken!? Wo habt ihr den Hund her?" "Jemand wollte ihn im Bach ertraenken!" erzaehlte Anna und staubte ihn liebevoll ab: "Ist er nicht suess?"
Neugierig, aber vorsichtig musterte das Tier die neue Person und schnueffelte. "Es gibt leider viele Leute, die so etwas tun!" gestand Agathe mit Bedauern ein. Als sie sah, wie gut Anna sich mit dem Hund verstand, kam ein Laechelnd auf ihr Gesicht: "Du willst ihn wohl behalten, was?" Bittend blickte Anna Thomas' Mutter an: "O ja, das will ich! Es ist nachts so einsam drueben im Gaestehaus!"
Die Frau sah erst Anna an, dann ihren Sohn und wieder Anna. Sie verstand, dass es eine Weile dauern wuerde, bis das Paar wieder ein Bett teilte und dass das Huendchen ein treuer Freund sein konnte - besonders in ihrer jetzigen Situation. Sie rang einen Moment mit sich, dann gab sie nach: "Wenn er mir die Gaeste verschreckt oder sonst irgendetwas anstellt...wie heisst er denn ueberhaupt, ich beiden werden euch doch sicher schon einen Namen ausgedacht haben!"
"Nero!" antwortete Anna und drueckte den Kleinen mit strahlenden Augen an sich, "Thomas hat sich das ausgedacht! Wir duerfen ihn wirklich behalten?" Thomas' Mutter lachte laut auf: "Der Junge hat ja nur Unsinn im Kopf, aber mir gefaellts! Ja, duerft ihr - vorausgesetzt Otto hat nichts dagegen, er ist immer noch der Mann im Haus!" "Danke!" Anna jauchzte auf und fiel Agathe um den Hals. Sie glaubte nicht, dass Otto etwas dagegen haben wuerde.
Agathe streichelte den kleinen Hund, der bereits Freundschaft mit ihr geschlossen hatte und an ihrer Hand schnupperte. "Was habt ihr denn sonst noch angestellt, ausser herrenlose Tiere heimzubringen?" "Heute noch nichts!" verkuendete Anna froehlich, gab Agathe Nero auf den Arm und umarmte dann spontan Thomas: "Hast du gehoert? Wir duerfen ihn behalten!" Er legte instinktiv seine Arme um sie und freute sich mit: "Du warst schon immer tierlieb! Das ist wunderbar!" "Ja, besonders Huehner liebe ich ueber alles!" neckte sie ihn und zwickte ihn sanft in den Bauch. "DAS habe ich gemerkt!" lachte er und liess Anna los. "Jetzt haben wir vor lauter Hund deine Schwester gar nicht besucht!"
"Sie kommt sicher bald mal vorbei!" troestete Agathe und drueckte Thomas den neuen Gefaehrten wieder in die Arme. "So, und jetzt lasst mich das Abendessen machen!" Der Hund bellte einmal frech und machte es sich bei dem jungen Mann gemuetlich. "Ich fuehle mich schon fast wie ein Vater!" kicherte er. "Er sieht dir auch sehr aehnlich, wirklich!" Anna grinste ueber beide Ohren. "Werd nicht frech oder..." meinte er und piekste mit dem Zeigefinger gefaehrlich nahe in die Luft.
Obwohl er sie nicht traf, quietschte sie und schlang schuetzend die Arme um ihren Oberkoerper: "Nicht kitzeln, ich bin wahnsinnig kitzelig!" Thomas bekam ein Grinsen, das bis zu beiden Ohren reichte: "Also damit erzaehlst du mir nun wirklich nichts neues!" Sie musste wieder an das denken, was er ihr erzaehlt hatte, erroetete heiss und wandte sich rasch um, um Agathe beim Essenmachen zu helfen. "Ja lauf nur, irgendwann krieg ich dich sowieso!" lachte er ihr nach. An Nero gewandt, meinte er: "Und was machen wir beide jetzt, bis es Essen gibt?" Der Kleine wedelte mit dem Schwanz und versuchte, nach Thomas' Nase zu schnappen.
"Das laesst du mal lieber, die brauch ich noch!" kicherte er und setzte das Huendchen auf den Boden. Eine Weile koennte er noch mit ihm spielen und ging auf den Hof hinaus. Er nahm einen kleinen Stock und sandte ihn in hohem Bogen davon. Nero rannte so eilig hinterher, dass er stolperte und sich einmal ueberschlug, bevor er wieder auf die Beine kam und weiterrannte. Er war wirklich noch sehr jung und tolpatschig.
Thomas klopfte sich auf die Schenkel und prustete, was er konnte. Das wiederholten sie zig Male und der kleine Hund schien dem Spiel nicht ueberdruessig zu werden. Er war wohl sehr vernachlaessigt worden und froh, einen Spielgefaehrten gefunden zu haben. Nur hergeben tat er den Stock nicht so gern. Es gab regelmaessig ein heftiges Gezerre und Geknurre.
Angst, dass er gebissen wurde, hatte Thomas nicht wirklich. Es war eher eine kleine Machtprobe, die auch ihm Spass machte. Nach einer Weile kamen Helmut und Jochen auf den Hof, offenbar schon von dem neuen Haustier in Kenntnis gesetzt. Nero kam sofort freudig auf sie zu, bellte und nahm Spielhaltung ein, als fordere er sie auf, mitzumachen. "Na, was haltet ihr von unserem kleinen Freund hier?" wollte Thomas wissen.
Helmut ging in die Knie und kraulte Nero, der sich sofort auf den Ruecken fallen liess, am Bauch: "Er ist wirklich niedlich! Na Kleiner, gefaellt dir das?" Ein freundliches Knurren war die Antwort des Tieres, als es die Zuwendung genoss. "Es ist nicht zu fassen, euch kann man doch nicht ein paar Stunden alleine lassen, ohne dass irgendetwas passiert!" schuettelte Jochen amuesiert den Kopf.
"Aber Anna hat wirklich Glueck, dass sie vergessen hat DICH geheiratet zu haben!" frozzelte Helmut. Thomas stemmte die Haende in die Hueften: "Wie darf ich das denn verstehen?" Helmut lachte: "Na wer will schon mit dir verheiratet sein!?" "Nero, FASS!" sandte sein Bruder den Hund kichernd zum Angriff. Der wusste jedoch gar nicht, was gemeint war und wuselte nur froehlich an Helmuts Beinen entlang und drueckte sich verspielt dagegen.
Thomas' juengster Bruder betrachtete den Hund laechelnd: "Er ist wirklich bezaubernd!"
"Und als Beschuetzer noch nicht so recht geeignet!" stellte Thomas erneut belustigt fest. "Es sei denn, er kann einen Einbrecher durch Knuddeln so lange aufhalten, bis Hilfe kommt!"
Jochen lachte: "Ich wette das koennte er sogar! Wer koennte da widerstehen!" Nero war ganz verwirrt, dass er auf einmal gleich drei Herrchen hatte. Planlos wetzte er von einem zum anderen um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Thomas wechselte das Thema: "Berta war doch sicher in der Kirche, haben Vater und Mutter es ihr schon erzaehlt?"
Helmut nickte: "Ja. Sie hat so lange den Kopf geschuettelt, bis ihr schlecht wurde!"
"Dabei hat sie gar nicht so viel verloren wie ich! Sie teilt mit Anna 20 Jahre an Erinnerungen - im Gegensatz dazu ist fast alles zwischen uns verschwunden!" beschwerte Thomas sich muerrisch.
"Deshalb war sie nicht so bestuerzt." erklaerte Jochen, "Sondern weil ihr beiden einfach nicht zur Ruhe kommt!" "So langsam wird mir die Aufregung auch zuviel!" stimmte Thomas zu. "ABENDESSEN!" bruellte Otto reichlich unsensibel von drinnen. Stoehnend zuckte Thomas zusammen: "Seht ihr, was ich meine? Das hilft nicht gerade!" und lief von Nero begleitet zum Haus.
Anna trug gerade eine grosse mit dampfendem Gemuese gefuellte Schuessel zum Esstisch. Wieder hatte sie die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt. Er musste sie einfach ansehen, wie sie konzentriert arbeitete. Sehnsucht nach ihr versetzte ihm einen schmerzhaften Stich zwischen die Rippen, aber er zwang sich zur Geduld. Schliesslich war es fuer sie nicht minder schwer. Mit Nero zu seinen Fuessen nahm er Platz.
Anna spuerte seinen Blick und erwiderte ihn kurz. Dann tat sie ihm wortlos sein Essen auf. Er bedankte sich und wartete, bis alle etwas auf ihrem Teller hatten. "Wo ist er denn nun?" fragte Otto ploetzlich. Es war ganz klar, dass er Nero meinte. Anna, die sich neben Thomas gesetzt hatte, lehnte sich etwas zurueck und sah den kleinen Kerl zwischen den Fuessen ihres Mannes. Sie kicherte: "Er wartet auf die Reste!" Otto bueckte sich aechzend und warf einen Blick unter den Tisch: "Putzig sieht er ja aus!"
Nero merkte, dass ihm jemand Aufmerksamkeit schenkte, und tapste mit wedelndem Schwanz zu Otto hinueber. "Und zutraulich!" fuegte er hinzu, waehrend er das Tier kurz an den Ohren kraulte. Als er wieder von unter dem Tisch auftauchte, sah er gutgelaunt aus: "Da will ich mal nicht im Weg stehen - aber noch einer kommt mir nicht ins Haus!"
Anna strahlte Thomas an, sagte aber nichts. Sie war gluecklich und fuehlte sich im Kreis dieser Familie immer wohler. Ausgelassen assen sie zu Abend und fast jeder reichte Nero ein kleines Haeppchen herunter, so dass der Hund am Ende recht traege und faul auf dem Boden lag und sich nicht ruehren wollte. Anna sah skeptisch zu ihm hinunter: "Hoffentlich platzt er nicht...oder kotzt mir alles voll heute Nacht!" Thomas grinste: "Das kann schon sein, er ist es sicherlich nicht gewohnt, so verwoehnt zu werden!"
Das Tierchen gab ein Geraeusch von sich, und Bengt blickte ueberrascht unter den Tisch: "Ich wusste nicht, dass Hunde ruelpsen koennen!" Agathe musste die Hand vor den Mund schlagen, um nicht laut loszulachen. "Tja, jetzt weisst dus!" Auch Anna hatte Muehe, nicht so amuesiert auszusehen, wie sie war. Sie stand auf und begann, den Tisch abzuraeumen. Sie war muede und wollte so bald wie moeglich ins Bett.
Jeder half mit und Thomas stellte sich neben seinen juengsten Bruder: "Keine Angst, heute Nacht brauchst du dir keine Gedanken ueber deinen Schlaf machen!" Ueberrascht sah Helmut ihn an: "Wieso, laesst Anna dich wieder ran?" Eilig hielt er den Finger an die Lippen: "Psst, nicht so laut! Glaubst du, das geht von heute auf morgen? Nein, aber ich kann heute bestimmt besser schlafen, wir verstehen uns praechtig!" "Mir waere es lieber ihr wuerdet euch schon gut genug verstehen um in einem Bett zu schlafen!" brummte Helmut, der sein Zimmer nicht gern teilte. "Wenn du darauf bestehst, dann kann ich zu Jochen oder Bengt umziehen..." gab Thomas etwas trotzig zurueck.
"Ist schon in Ordnung!" murrte Helmut, "Wozu sind Brueder denn da!?" Thomas hieb ihm kraeftig auf den Ruecken: "Na siehst du, das wollte ich hoeren! Wenn du mal spaeter Probleme hast, dann kannst du auch immer zu mir kommen!" "Ich komm drauf zurueck!" grinste Helmut. Der Tisch war inzwischen abgeraeumt, und Anna gaehnte ausgiebig. Sie fischte Nero unterm Tisch heraus: "Na komm, Kleiner...wir zwei gehen jetzt nochmal zur Linde im Hof, und dann ist Schlafenszeit!"
Ihr Mann stellte sich zu ihr und kraulte den Welpen zum Abschied ausgiebig: "Pass gut auf ihn auf heute Nacht, der findet alleine bestimmt nie wieder zurueck!" Anna genoss die Waerme und den Duft, der von Thomas ausging; gern haette sie ihn gebeten, doch auch mit ihr zu kommen, aber das ging ja nicht! Sie laechelte zu ihm auf: "Der muss auf mich aufpassen!"
"Wehe dir, wenn du deine Arbeit nicht gut machst!" mahnte er den Hund und sah dann Anna liebevoll an: "Gute Nacht!" Das Gefuehl in seinem Blick beruehrte sie tief. "Gute Nacht, Thomas!" antwortete sie leise. Ohne weitere Worte stieg er die Treppe hinauf und winkte ihr noch, bevor er im Obergeschoss verschwunden war. Sie winkte zurueck und hatte das Gefuehl, dass sie ihm einen Gute-Nacht-Kuss haette geben sollen. Aber jetzt war es schon zu spaet. Sie drehte sich um und ging mit Nero auf dem Arm in den Hof hinaus.